„Brexit? Oh shit!“

Zwischen sechs und sieben Uhr ist noch nicht viel los am Bahnhof King´s Cross in London. Der tägliche Pendlerstrom ist noch ein Rinnsal. Doch unter den Menschen, die schon auf den Beinen sind und ungeduldig auf ihre Züge warten, ist der Schock über das Ergebnis des Brexit-Referendums die am häufigsten geäußerte Reaktion.
Auch Ian Williams aus Bristol ist erschüttert. Er hat die Nacht in London verbracht, um am Morgen nach Peterborough weiterzufahren. Um fünf Uhr habe er die Nachrichten eingeschaltet und das „sehr enttäuschende Ergebnis“ gesehen, sagt der Mann mit den grauen Haaren, der mit einer kleinen Tasche auf seinen Zug wartet. Er sei absolut unsicher, was passieren wird, sagt er. Auch die Folgen für Europa seien unklar, da Wahlen in Frankreich und Deutschland vor der Tür stünden. Wenn er demnächst seinen Urlaub in Frankreich antrete, sei er durchaus ein bisschen beschämt, darüber wie sich der Großteil der Briten entschieden hat.
Noch deutlicher auf den Punkt gebracht wird das von dem jungen Mann, der unweit von Ian auf seinen Chef wartet, mit dem er sich am Bahnhof treffen will. Er bringt nur ein „Oh shit“ hervor und sagt, dass er das Ergebnis noch gar nicht richtig verarbeitet habe und deshalb auch nicht darüber reden könne.
„Das wird schlechte Folgen für unser Land haben“
Wesentlich intensiver spricht dafür Andrew Nicholls. Er lebt und arbeitet in London und ist überzeugt davon, dass ein Ausscheiden aus der EU schlechte Folgen für das Land haben werde und erst recht für die Londoner City. Letztendlich werde das Land den Austritt überleben, sagt er, doch es gebe tiefe Verwerfungen in der Gesellschaft und das Ergebnis habe auch die schottische Frage wieder angefacht.

Damit hat er wohl recht, schon weil die schottische erste Ministerin Nicola Sturgeon schon vor der endgültigen Bekanntgabe des Ergebnisses erklärt hat, dass die Schotten mit ihrem Votum klargestellt hätten, dass sie ihre Zukunft in der EU sehen. Nach den Ergebnissen, die die BBC am Freitagmorgen präsentierte, haben alle schottischen Wahlkreise für einen Verbleib gestimmt.
„Jetzt sind wir auf uns allein gestellt“
Für einen Verbleib in der EU hat auch die ältere Frau gestimmt, die auf dem Weg zum Zug ist. Es wäre besser gewesen, wenn Großbritannien sich für einen Verbleib in der EU entschieden hätte, sagt sie. Wirtschaftlich werde jetzt alles schlechter, befürchtet sie. Die Austeritätspolitik von David Cameron habe dem Land geschadet und nun werde es wahrscheinlich noch schlimmer. In der EU hätte man die Folgen der Wirtschaftskrise gemeinsam bekämpfen können, nun sei man jedoch allein und auf sich gestellt.
Einzig ein einsamer grauhaariger Raucher, der seinen Namen nicht nennen will, zeigt sich ob des Ergebnisses positiv gestimmt. Er selbst habe für den Austritt votiert und sei deshalb erfreut, dass so viele Briten seiner Meinung seien. Der Hauptgrund, warum er gegen die EU ist? Ganz klar, sagt er, die Immigration. Zu viele Ausländer seien in das Land gekommen und kämen immer noch, besonders aus Osteuropa. Nun sei es an der Zeit, das eigene Land wieder zurückzuerobern.