Das Festival und seine Filme

Die Berlinale war einmal ein Sommerfestival. Und ein Filmfestival der freien Welt, damals, als es die unfreie noch gab, das "Reich des Bösen", die "rote Gefahr".
Heute ist die Lage diffuser, die Bösen sind nicht eindeutig erkennbar, und die Guten haben Mühe, ihr Handeln zu rechtfertigen. Das hat Folgen, für die Wirklichkeit wie für ihr Abbild, und ganz besonders im Kino, das stets auf die klare Unterscheidbarkeit von Gut und Böse angewiesen war. James Bond beispielsweise jagt immer noch die Großschurken der Welt, aber es wird zunehmend schwieriger, seinen Widersachern ein markantes Profil zu geben. Der Feind: Das kann jeder sein, irgendeiner, ein Gesicht in der Menge, ein Phantom.
Keine Selbstverständlichkeit
Mit nur zwei Beiträgen im offiziellen Wettbewerb ist die Präsenz des deutschen Films diesmal schwächer als in den beiden Jahren zuvor. Aber mit Romuald Karmakars "Die Nacht singt ihre Lieder" und Fatih Akins "Gegen die Wand" ist das deutsche Kino dennoch würdig in Berlin vertreten, denn beide Filme haben eine erzählerische Kraft und Konzentration, die hierzulande beileibe keine Selbstverständlichkeit ist.
Daß der Film von Achim von Borries ("Was nützt die Liebe in Gedanken") über die Steglitzer Schülertragödie von 1927 nur in der Nebenreihe Panorama läuft, mag man bedauern - aber wenn man liest, was die drei Regisseure im Gespräch mit dieser Zeitung über die Kinoproduktionsbedingungen in Deutschland mitzuteilen haben, erscheint einem die Plazierung ihrer Filme auf der Berlinale doch als das geringere Problem.
Das wärmste der drei großen Filmfestivals
Die Berlinale war einmal ein Sommerfest. Davon ist nichts geblieben als die Sehnsucht nach Licht, Luft und Wärme, die in den Multiplexen und Glaspalästen am Potsdamer Platz ewig unerfüllt bleiben muß. Geblieben aber ist der großstädtische Charakter des Festivals, seine Wechselwirkung mit dem Alltag der Metropole, und das ist ein Vorteil, von dem Berlin noch lange zehren kann. Während die beiden anderen jährlichen Großveranstaltungen des Kinos in Cannes und Venedig immer mehr wie die folgenlosen Filmkonzile aussehen, die sie tatsächlich sind, hat die Berlinale seit 2002 unter dem neuen Festivalleiter Dieter Kosslick an Popularität hinzugewonnen, ohne ihre Marktposition in der Kinobranche zu schwächen.
Zwar kommen in diesem Jahr nur wenige amerikanische Stars nach Berlin, aber dafür mischen sich hier Schauspieler und Regisseure mit einer Selbstverständlichkeit unters Volk, die anderswo undenkbar wäre. Wenigstens in menschlicher Hinsicht ist Berlin das wärmste der drei großen Filmfestivals.
"Wir sind das Frühlingsfestival", hat Dieter Kosslick mit Blick auf die Konkurrenz an der Croisette und am Lido erklärt. Das wird, solange das Berliner Klima sich nicht radikal ändert, ein frommer Wunsch bleiben. Aber vielleicht ist die Erhöhung der Außentemperatur auch gar kein lohnendes Ziel. Viel wichtiger ist, daß durch Kosslick ein Geist der Offenheit nach Berlin gekommen ist, der gerade in Cannes und Venedig so spürbar fehlt. Denn der große Film, das Meisterwerk, nach dem alle Festivals suchen, hat, anders als viele dort meinen, nichts mit großen Namen zu tun. Es könnte jeder sein. Irgendeiner. Ein Film von der Straße. Ein Phantom.