Die Wuterprobte

Kürzlich saß Cristina Morales auf einer Bühne, errichtet auf dem Dach vom Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Eine siebenköpfige Jury hatte der spanischen Autorin und ihrer deutschen Übersetzerin Friederike von Criegern dort gerade den Internationalen Literaturpreis überreicht, für Morales‘ jüngsten Roman „Leichte Sprache“, nach einer begeisterten Laudatio, die den Preis als eine „Liebeserklärung“ an das Buch bezeichnete. Morales ist bühnenerprobt. Man merkte es an ihrer Körperhaltung, an der freundlichen Gelassenheit und der gelassenen Freundlichkeit, mit der sie das Publikum begrüßte, das in die grelle Abendsonne blinzelte. An der Ruhe, mit der sie den Fragen zweier Jurymitglieder zuhörte, ihren kleinen Witzen. Man merkte es daran, wie sie ihre Antworten bedachte und aussprach. Und daran, wie sie ihre Wut zeigte, über das, was sie als soziale Ungleichheit begreift, als Heuchelei der Wohlmeinenden, als „neoliberale Demokratie“.
Dann hob sich ihre Stimme, zogen sich ihre Augenbrauen in der Mitte zusammen, warf sie den Kopf leicht zur Seite, schlug einen Finger auf den Tisch. Ihre Wut schien kurz aufzulodern, hier und jetzt, und zugleich zielsicher in Form gebracht.
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Cristina Morales, „Leichte Sprache“. Aus dem Spanischen übersetzt von Friederike von Criegern. Matthes & Seitz, 409 Seiten, 25 Euro.
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