Was Kafka in der Alchimistengasse las

Vom 26. November 1916 bis Ende April 1917 kann Franz Kafka für etliche Stunden am Nachmittag und am Abend eine kleine Wohnung in der Alchimistengasse 22 benutzen, die seine Schwester Ottla ihm zur Verfügung stellt. In diesem ruhigen und engen Raum – ein einziges Zimmer mit einem Fenster und einem Kamin – entstehen die meisten Stücke seiner Erzählungssammlung „Ein Landarzt“. Der von ihm geliebte Arbeitsplatz hat aber nicht nur Vorteile. Jeden Tag muss Kafka bei Unwetter und Kälte ungefähr fünf Kilometer von seinem Büro in der Arbeiter-Unfallversicherung bis zur Alchimistengasse, dann zur Wohnung seiner Eltern zum Abendessen und endlich zu seinem Zimmer im Palais „Zum goldenen Hecht“ zu Fuß laufen; der Kriegswinter 1916/17 ist besonders hart, die Temperatur sinkt in Prag bis auf minus 20 Grad. Die Umstände bestimmen die Arbeitsbedingungen. Kafka beginnt, kleine tragbare Hefte zu benützen: Die heute als Oxforder Oktavhefte bekannten Schreibhefte ersetzen die sonst verwendeten Quarthefte.
Auch nimmt Kafka wahrscheinlich wenige Bücher mit: Der Raummangel in Ottlas Wohnung und das Bedürfnis, leicht bepackt die Stadt zu durchqueren, entscheiden über die Wahl. Diese ganz besonderen Arbeitsbedingungen liegen aber einer Entdeckung zugrunde, die neues Licht auf die Entstehung des „Landarzt“-Bandes werfen kann.
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