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Shakespeare wild und witzig

Nachrichten aus Rom? Wie lästig!

Von Andreas Platthaus
16.04.2023
, 18:54
Kleine Bühne, großes Theater: Teresa Schergaul und Patrick Isermeyer als Kleopatra und Antonius Bild: Rolf Arnold
Was für eine Kulturgewalt am Schauspiel Leipzig: Claudia Bauer, Patrick Isermeyer und Teresa Schergaut vergegenwärtigen Shakespeeares „Antonius und Kleopatra“ ebenso geistreich wie provokativ.

„Auf nach Rom!“ Was Octavian, der als Augustus nunmehr allein über ein Weltreich herrschen wird, am Schluss von Shakespeares „Antonius und Kleopatra“ verkündet, nachdem er mit den beiden Titelfiguren der Tragödie seine letzten Rivalen besiegt und in den Tod getrieben hat, ist eine Absage an die orientalische Opulenz jenes Märchenreichs namens Ägypten, in dem das gescheiterte Herrscherpaar regierte, und die Proklamation eines neuen realpolitischen Selbstverständnisses. Eine letzte Gnade gönnt er den beiden untergegangenen Rivalen noch: ein Staatsbegräbnis mit all dem Prunk, der ihre Herrschaft ausmachte. Shakespeare wusste, was das Publikum seiner Zeit (und der erst wenige Jahre zurückliegende Machtwechsel in England von den Tudors zu den Stuarts) verlangte: ein bisschen Mitleid. Doch nicht in Leipzig. Auf der Bühne des dortigen Schauspiels fügt Octavian seinem Aufruf zur Rückkehr ein verächtliches „Fort aus diesem Drecksloch!“ an. Der Imperator geht unversöhnt und unversöhnlich. Man wird das realistisch nennen dürfen, vor allem aber zeitgemäß für unsere Gegenwart.

Lass den Kopf nicht hängen, wackerer Antonius: Kleopatra zumindest hält sich noch aufrecht. Bild: Rolf Arnold

Wenn es ganz schlimm kommt in der Welt, greife man im Theater ja stets zu Shakespeare „wie zu einer Bluttransfusion“, heißt es irgendwann im immer wieder metafiktional kommentierten Leipziger „Antonius und Kleopatra“. Wie wahr! Und was für ein Segen, denn es ist ja fast unmöglich, ein Stück von Shakespeare zu zerstören. Im günstigen Fall wird seine Aktualisierung zum Triumph. So ist es hier, obwohl man das nicht erwartet hätte. Eine Inszenierung, die angekündigt wird als „Shakespeare-Installation im Kolonialstil“, gibt zu den bösesten Vermutungen Anlass. Doch nach hundert Minuten – eine Spieldauer, die schon zeigt, dass hier mehr vom Text gestrichen ist als meta­fiktional ergänzt – ist die „Diskothek“ des Schauspielhauses ein Ort einhelligen Jubels. Warum mit so einem Bühnenereignis auf die Nebenspielstätte? Mit solch einer Kulturgewalt an Schauspiel? Was für eine mutig mutwillige Aneignung!

Ein Mover and Shaker der Geschichte

Das ist ein mehrfach wiederholter Zen­tralsatz der Inszenierung, natürlich auch nicht von Shakespeare: „Was für eine Aneignung!“ Kleopatra, die einheimische Königin, münzt ihn auf Antonius, den Römer, der es sich in Ägypten an ihrer Seite und in ihrem Bett wohleingerichtet hat. Octavian, den die Darstellerin der Kleopatra, Teresa Schergaut, als zweite Rolle gibt (in grauem Waffenrock über den Pteryges und beim ersten Mal dank Vocoder dunkel stimmverfremdet – ein grandioser Effekt, der in der Schlussszene des Stücks leider fehlt), würde sagen: Was für eine Entartung! Doch dieser Antonius, von Pa­trick Isermeyer mit geradezu un­heimlicher physischer Präsenz gespielt, ein mover and shaker im buchstäblichen Sinne, der vor begeisterter Erregung zittert, wenn er die römische Expansionspolitik am Bühnenrand nach Ländern katalogisiert („Annektiert, römisches Staatsgebiet – bang!“, heißt es dazu jedes Mal), dieser Antonius ist gar kein dekadenter Triumvir, sondern einer, der an den Winkelzügen des Kollegen Octavian längst verzweifelt ist. „Nachrichten aus Rom? Wie lästig!“, ruft er beim ständigen Telefonklingeln aus, wo er doch viel lieber mit Kleopatra rummachte, und es braucht die sowohl lebens- als auch liebeskluge Königin, ihn an die Wirklichkeit zu mahnen: „Nein, hör’s dir an, Anton.“

Zwei Darsteller für einen ganzen Shakespeare, aber es gibt auch noch eine Puppe, die Octavia vertritt, und die Souffleuse Ditte Trischan (links) ist die ganze Zeit auf der Bühne präsent. Bild: Rolf Arnold

Der wird sich einiges von Kleopatra an­hören müssen im Laufe des Stücks, und man mag es unfair nennen, dass Isermeyer im Zuge des Crossdressings, das diese Leipziger Shakespeare-Tragödieninszenierung mit nur zwei Darstellern erfordert, erst gegen Schluss auch einmal die Königin mimen darf, wenn deren Sache schon verloren ist (und Schergaut als Octavian gebraucht wird). Doch zuvor schickt Isermeyer seinen Antonius durch die Hölle und uns im Publikum ins Paradies, denn mehr Intensität ist schwer vorstellbar. Schergaut steht ihm darin gar nicht nach, nur ist ihr Part der weniger dankbare: Octavian ist bei Shakespeare ein kühler Taktiker und sonst nichts, und das bleibt er trotz burlesker Erscheinung auch in Leipzig, Kleopatra wiederum wird hier so gegen den Shakespeare­-Strich gebürstet, dass sie zum Zerrbild wird. Allerdings ein amüsantes Zerrbild, eine Karikatur, wie überhaupt plötzlich die Grenze der Tragödie zur Komödie fließend scheint. Aber auch dafür gibt die männliche Hauptfigur in ihrer Hybris mehr her.

Unbedenklichkeitsbescheinigungen für einander

Zwei Szenen gibt es, in denen Schergaut und Isermeyer, die mit der Regisseurin Claudia Bauer kollektiv für dieses „Projekt“ verantwortlich zeichnen, aus ihren Rollen fallen. Zu Beginn kommen sie in Bademänteln vor die Portikus eines kleinen, aber drehbaren und dann nach allen anderen Seiten hin offenen römischen Hauses (Bühne und Kostüme von Andreas Auerbach) und stellen sich gegenseitig in einem fulminanten – und spontan auf die Zuschauer eingehenden – Dialogschlag­abtausch identitätspolitische und ästhetische Unbedenklichkeitsbescheinigungen be­treffs des kommenden Spektakels aus, ehe sie einander ihre Körper erkunden und für den Beginn des eigentlichen Dramas ins Innere verschwinden, wo sie fortan konsequent im Sucher eines Kameramanns sind, dessen Bilder auf die Außenwände projiziert werden. So spielt sich manche Szene fürs Publikum nur vermittelt ab, aber das resultierende Schauspiel aus Zeigen und Verbergen ist ebenso subtil wie souverän. Und jeder Wiederauftritt von Schergaut und Isermeyer aus den Tiefen des rotierenden Häuschens ein Ereignis. Und ganz am Ende wiederholt sich das metafiktionale Vor- als Nachspiel, nun noch erweitert durch die Souffleuse, die während des ganzen Stücks mit einem Tablet ihrerseits das Haus umrundet hat. „Es war okay“, hört man dann, und „Schön, wenn es vorbeigeht“. Beides kann man so nicht teilen: Es war mehr als okay und hätte gern noch weitergehen können.

Wo blieb indes der angedrohte Kolonialstil? Der zeigt sich gar nicht im ge­schickten Mix aus antiken und modernen Versatzstücken bei Bühne und Requisiten, sondern als Kolonialisierung Shakespeares, indem seinem Kontinent Debatten und Begriffsbesteck der Gegenwart aufgezwungen werden. Doch wenn das in der Welteroberungsgeschichte jemals so witzig und respektvoll (von Shakespeares Sprache, hier in der klassisch klingenden und doch aktuellen Übersetzung von Frank Günther, bleibt doch verblüffend viel) erfolgt wäre wie in Leipzig, hätten wir heute global weniger politische Probleme. Und lokal besseres Theater.

„Antonius und Kleopatra“ wird übrigens auf unabsehbare Zeit Claudia Bauers letzte Inszenierung am Schauspiel Leipzig gewesen sein, dem sie sieben Jahre lang als Hausregisseurin verbunden war. Ende vergangenen Jahres erschütterte ein Streit zwischen Intendanz und zwei Schauspielerinnen das Theater, der in einem Haus­verbot für die beiden Ensemblemitglieder gipfelte, worauf Bauer ihre Zusammenarbeit be­endete. Dem da schon avisierten Shake­speare-Projekt mit Isermeyer und Schergaut fühlte sie sich aber noch verpflichtet, und so ist der Abschiedsschmerz jetzt noch größer. Leipzig verliert etwas, was es lange nicht mehr gehabt hat: thea­tralische Originalität. Was für eine freiwillige Enteignung!

Quelle: F.A.Z.
Andreas Platthaus
Verantwortlicher Redakteur für Literatur und literarisches Leben.
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