Das Prinzip der Entzweiung
Die größte Militärmacht der Welt ist von Parteikämpfen zerrissen. Der abgewählte Machthaber erkennt seine Niederlage nicht an, er ruft seine Anhänger zum Aufstand auf, sie stürmen das Parlament, die Nationalgarde wird mobilisiert, es gibt Tote. Die gesellschaftliche Spaltung, die in den Ereignissen von Washington aufscheint, ist kein bloß amerikanisches Phänomen, sie prägt auch viele Länder in Europa, in denen Polizisten und Gelbwesten, Querdenker und Gegendemonstranten, Abtreibungsbefürworter und Abtreibungsgegner gegeneinander aufmarschieren. Der Bürgerkrieg, der Aufstand der Provinz gegen die Zentrale, der Anti-Community gegen die Gemeinschaft scheint zum Albtraum des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu werden. Er steht für eine Stufe der geschichtlichen Entwicklung, die man dies- und jenseits des Atlantiks überwunden zu haben meinte, für die Epochen der Zerrüttung, der Glaubenskriege, Revolutionen und Klassenkämpfe.
Eine Welt, in tiefe Finsternis getaucht
Was aber ist, wenn die innere Einheit und der soziale Konsens, die in Politikerreden routinemäßig beschworen werden, nur vorübergehende Erscheinungen waren, ein Epiphänomen des Zeitalters der Nationalstaaten, das vor vierhundert Jahren begann und sich seinem Ende zuneigt? Blicken wir versuchsweise zurück in eine Zeit, in der die Entzweiung der Gesellschaft der Normalfall war. Damit ist nicht das vormoderne Europa des Dreißigjährigen Krieges oder des Hochmittelalters gemeint, dessen politische Hierarchien trotz aller Katastrophen relativ stabil waren, und auch nicht die Antike mit ihren grausamen und langlebigen Herrschafts- und Sozialverhältnissen.
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