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Wissenschaftsurheberrecht

Die Digitalisierung frisst unsere Rechte

Von Roland Reuß und Volker Rieble
29.04.2017
, 16:25
Verlage und Autoren wehren sich gegen die Urheberrechtsnovelle: Bücherregale der Universitäts-Bibliothek Greifswald in optischer Schieflage. Bild: Picture-Alliance
Ansprüche von Autoren scheren die Bundesregierung offenbar nicht. Das zeigt die Novelle zum Wissenschaftsurheberrecht. Sie opfert die publizistische Freiheit. Ein Gastbeitrag.

Das Urheberrecht muss immer wieder an die Gegebenheiten der Gegenwart angepasst werden. Auf keinen Fall darf dies jedoch auf dem Rücken der Autoren geschehen, die im Gerangel der ökonomisch orientierten Interessengruppen ohnehin nicht angemessen zu Gehör kommen. In den Bundesministerien werden die in Urheberrecht, Grundgesetz und UN-Charta verbürgten Persönlichkeitsrechte der Autoren offensichtlich für irrelevant gehalten. Eine jüngst vom Kabinett verabschiedete Urheberrechtsnovelle kommt vornehmlich als Konsumenten-, nicht als Produzentenschutz daher – als sei die Legislative in diesem heiklen Bereich der Wissenschaftsfreiheit nur eine Branche des Verbraucherschutzes. Für die zentrale, aber bedeutend schwieriger zu beantwortende Frage, wie man Autoren vor Piraterie und Plagiarismus besser schützt, weiß die Politik keine Antwort. Sie konzentriert sich auf das populistische Ziel, die „Wissensgesellschaft“ mit einem Urheberrecht zu beglücken, das den Zugriff auf veröffentlichte Werke für Zwecke des Unterrichts und der Wissenschaft „erleichtere“.

Auf Papier veröffentlichte Werke – also Fachbücher, Lehrbücher und Zeitschriftenaufsätze – können danach künftig genutzt werden, ohne dass der Urheber dies abwehren kann. Die neuen „gesetzlich erlaubten Nutzungen für Unterricht, Wissenschaft und Institutionen“ sollen in den Paragraphen 60a bis 60h des Urheberrechtsgesetzes festgeschrieben werden. Von diesen Nutzungsrechten stechen drei heraus: Für jedweden Unterricht an „Bildungseinrichtungen“ dürfen bis zu fünfzehn Prozent eines Werks (Buches), aber auch vollständige Aufsätze in Zeitschriften „vervielfältigt, verbreitet, öffentlich zugänglich gemacht und in sonstiger Weise öffentlich wiedergegeben werden“.

Zunächst gar nicht entschädigt

Vergriffene Werke dürfen ohne Umfangsbegrenzungen als Kopie vorgehalten werden – und zwar selbst dann, wenn der Autor sich bewusst gegen Neuauflage oder Nachdruck entschieden hat. Gemeint ist damit neben der herkömmlichen Kopie auch die digitale Sendung – also das Vorhalten von gescannten Dokumenten auf dem Schul- oder Universitäts-Server. Für den Lehrer ist das praktisch, kann er sich so die Kopierkosten sparen und den bibliotheksunwilligen Schülern und Studenten das zu Lesende elektronisch liefern. Ein ähnliches Privileg ist für die Forschung vorgesehen. Interessanterweise vergisst der Entwurf die urheberrechtliche Zitierpflicht – man darf schon auf die Plagiatoren warten, die ihr Kopiertes mit dem Forschungsprivileg verteidigen. Bibliotheken dürfen gedruckte Werke digital vervielfältigen und jedem Nutzer pro Sitzung zehn Prozent des Werks digital mitgeben.

Zum Ausgleich für diese Nutzungen soll der Autor eine „angemessene Vergütung“ erhalten – aber nicht als Individuum, sondern nur über Verwertungsgesellschaften. Durch die pauschale Vergütung tut sich nicht nur eine krasse Gerechtigkeitslücke auf. Das ungewisse Schicksal der in diesem Fall zuständigen Verwertungsgesellschaft Wort, die seit Monaten durch Rechtsstreitigkeiten wie gelähmt wirkt, macht die Rede von einer angemessenen Entgeltungspraxis vollends zur Farce. Konkret heißt dies: Verlage werden zunächst gar nicht entschädigt.

Autoren hat man nicht gefragt

Der aktuelle Reformbeschluss, der dem Parlament noch vorgelegt werden muss, beruft sich allein darauf, dass das Werk einmal mit Willen des Autors veröffentlicht worden ist. Er missachtet dessen verbürgtes Recht auf Medienwahl. Wer analog, also auf Papier, publiziert, wird für unmündig erklärt. Er muss die Zwangsdigitalisierung seines Werks im beschriebenen Umfang ertragen.

Zu dem zuvor kursierenden Referentenentwurf wurden die „Rechteinhaber“ angehört, also die Verwertungsgesellschaften und die autonomen Verbände – von den Verlegern unterschiedlicher Verbände bis zum Börsenverein des deutschen Buchhandels. Autoren hat man nicht gefragt, obschon sie die Urheber sind und damit die Primärberechtigten an ihren Texten; und obschon auf einer mittlerweile über sechstausend Unterzeichner umfassenden Unterschriftenliste von Kritikern der autorenfeindlichen Gesetzesinitiative auch so prominente Namen wie Jürgen Habermas oder Jürgen Osterhammel und eine Menge amtierender Richter erscheinen.

Für den Autor ist sein Werk nicht nur „content“

Dafür haben sich die „institutionellen Akteure“, also vor allem die Bibliothekare, geäußert, die von Digitalunternehmen wie Google für diese Erschließung neuer Datenfelder unterstützt werden, ohne dass die Geldflüsse transparent würden. Es ist, als mache man eine Umfrage unter Biertrinkern, ob die Brauereien ihr Bier umsonst ausschenken sollten. Ein einziges vom Bundesbildungsministerium bestelltes, einseitig verfasstes Gutachten liefert die Basis. Die amtliche Begründung des Entwurfs nennt die Autoren verschämt als Rechteinhaber und bedauert sie scheinheilig, weil sie aufgrund der bislang verbotenen Nutzung keine Vergütung erhielten, schweigt sich zu ihren neuerlichen Rechtsverlusten jedoch weitgehend aus. Ob Autoren überhaupt gescannt und online verfügbar gemacht, also digitalisiert werden wollen, fragt der Gesetzgeber nicht.

Der Entwurf sieht die Wissenschaft phrasenhaft im „tiefgreifenden Medienwandel“. Dass der Medienwechsel dem Autor umstandslos zumutbar ist, wird einfach unterstellt. Doch ist gerade das wissenschaftliche Werk nicht bloß körperliches Werk, also „Produkt“ oder Sache, auf das beliebig zugegriffen werden könnte – wofür es dann mit einer Entschädigung getan wäre. Für den Autor ist sein Werk eben nicht nur „content“, sondern eine persönliche Sache.

Ein wichtiges Recht wird wertlos

Die nun ins Parlament gegebene Digitalisierungsbefugnis erlaubt es, dem Autor ein Medium zu oktroyieren, das er selbst nicht gewählt hat. Wer digital publizieren will, mag das tun. Wer sich aber für den analogen Weg entschieden hat, dem wird hier, Autorenrecht hin, Grundgesetz her und der UN-Charta spottend, ein zentraler Punkt seiner Rechte einkassiert. Wer Wissenschaftspublizistik eher technisch sieht, für den ist das Medium eine nachrangige Frage. Ihm macht die Digitalisierung keinen Unterschied zur klassischen Papierkopie. Wer dagegen den persönlichen Kommunikationsaspekt in den Vordergrund stellt, für den ist das Zwangsdigitalisat eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Äußerungsfreiheit, weil es auf den Übertragungsweg ankommt. Das Medium bestimmt die Botschaft zumindest mit. Hierzu sagt der Entwurf: nichts. Individuelle Freiheitsrechte werden auf dem Altar der Konsumentensozialisierung für nichtig erklärt.

Elementar betroffen ist auch das schärfste Urheberrecht: dasjenige auf Rückruf wegen gewandelter Überzeugung. Jeder Autor kann von seinem Verlag verlangen, den Vertrieb eines Werkes einzustellen, wenn ihm die weitere Distribution aufgrund seines Überzeugungswandels nicht zuzumuten ist. Dieses Recht wird wertlos, wenn das deshalb vergriffene Werk von Bibliotheken digitalisiert angeboten werden kann. Dem Autor wird die digitale Verbreitung zugerechnet – gegen seinen expliziten Kommunikationswillen. Eine Ungeheuerlichkeit, deren Verabschiedung durch ein Justizministerium am Verstand der Sachverständigen zweifeln lässt.

Ein überfälliges Gespräch

Nicht problematisiert werden die Störfälle. Muss der Lehrer, der Teile eines Aufsatzes weglässt, dies kenntlich machen, weil sonst beim Leser ein falscher Eindruck von der Intention des Textes entsteht? Wer trägt die rechtliche Verantwortung für die Verbreitung unzulässiger oder falscher Inhalte – die Bildungseinrichtung, weil sie die Verbreitungsentscheidung trifft, oder der Autor, weil er das Werk geschaffen hat? Wie haften Schulen, Universitäten und Bibliotheken für Übertragungsfehler bei der Digitalisierung? Das alles kann nicht einfach im Schnellverfahren vom Parlament durchgewinkt werden.

Der Gesetzentwurf hält, wie zu erwarten, fest: Alternativen gibt es nicht. War am Ende auch die Verweigerung jeder Anhörung oder gar des Gesprächs ohne Alternative? Autoren sind für die Reformer offensichtlich nicht mehr gleichberechtigte Teilnehmer am „herrschaftsfreien“ Wissenschaftsdiskurs. „Rechteinhaber“ im Entwurf klingt schon fast zynisch. Autoren mutieren zu Lieferanten eines Rohstoffs, den andere verwerten. Vor allem Datenerheber, die das Nutzungsverhalten der Leser protokollieren.

Der Bundestag darf diesen Entwurf, der bürgerliche Rechte verhöhnt, nicht abnicken. Ein Gespräch mit den Autoren (und nicht nur den ökonomisch rechnenden Verbänden) ist vor Verabschiedung eines so problematischen Gesetzes überfällig. Es ist bislang systematisch abgeblockt worden. Wenn schon die Ministerin für Forschung sich allein als Stimme der Verbände begreift und der Justizminister sich für Individualrechte nicht einsetzt, sondern allein Konsumentenrechte zur Geltung bringt – wann, wenn nicht jetzt, wäre die Stunde einer engagierten Staatsministerin für Kultur und Medien und jener gebildeten Parlamentarier, die über den Tag hinausdenken können? Man kann nicht basale Autorenrechte preisgeben und am Kabinettstisch seine Stimme nicht erheben, wenn die Mächtigen sie einkassieren wollen. Die Glaubwürdigkeit bleibt dabei zuerst auf der Strecke. Es geht um Prinzipien des Rechtsstaats, des Individualschutzes, nicht um „Interessenausgleich“.

Quelle: F.A.Z.
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