Ein Rembrandt, an den keiner glaubte

Museen sind teuer, staatliche Kassen sind klamm. Die Mittel, die sie zuschießen, reichen für den Betrieb, selten für Neuerwerbungen und Ausbau. Deshalb umwerben Museumsdirektoren seit dem neunzehnten Jahrhundert Kunstsammler als Stifter. In Zeiten bürgerlichen Kunstpatriotismus florierte dieses Modell der privaten Finanzierung öffentlichen Kulturbesitzes. Heute dagegen knüpfen die Sammler Bedingungen an die Abgabe ihrer Schätze. Sie fordern Museen nach ihrem Geschmack, notfalls bauen sie sie selbst. Weil die Mittel für Neuankäufe immer knapper werden, sitzen die Stifter am längeren Hebel, selbst wenn ihre Sammlungen, wie oft im zwanzigsten Jahrhundert, auf moralisch zweifelhafte Weise entstanden. Die Öffentlichkeit betrachtet das Zweckbündnis von Macht und Geld zunehmend misstrauisch, der Druck auf beide Partner nimmt zu. Das Thema ist noch für viele Provenienzdebatten gut.
Daher stellt es kein Verlegenheits-Event dar, wenn die Berliner Gemäldegalerie mit einer Ausstellung an Edward Solly erinnert. Ohne Solly nämlich wäre die Gemäldegalerie in ihrer jetzigen Form nicht entstanden. Die napoleonischen Kriege hatten die Kassen des preußischen Staates geleert, und der königliche Kunstbesitz mitsamt der Barocksammlung Giustiniani, die Friedrich Wilhelm III. 1815 in Paris erworben hatte, reichte zur Gründung eines Museums nach den Vorstellungen der Reformer um Schinkel und seinen Lehrer Aloys Hirt nicht aus. In dieser Situation kam der Ankauf der reichen Bestände von gotischer und Renaissancemalerei, die Solly binnen weniger Jahre zusammengetragen hatte, einem Schatzfund gleich. Aber selbst der Schnäppchenpreis von 500.000 Silbertalern für mehr als dreitausend Bilder überforderte das Budget des Kulturministers: Der König musste ihn aus seiner Privatschatulle bezahlen.
Für eine halbe Million Goldtaler
Dem Erwerb der Solly-Sammlung im November 1821 war ein zweijähriges Tauziehen vorausgegangen. Solly, Miterbe einer Holz- und Getreideexportfirma, hatte durch die von Napoleon verhängte Kontinentalsperre gute Geschäfte gemacht, aber in den Wirren der Befreiungskriege viel Geld verloren. Als er seine Sammlung 1819 dem Königreich Preußen für eine halbe Million Goldtaler – etwa das Doppelte der späteren Kaufsumme – anbot, war seine finanzielle Situation schon prekär. Ein Bankkredit, für den er den Großteil der Bilder als Pfand einlieferte, verschaffte ihm neuen Handlungsspielraum. Um seine Geldforderung zu unterstreichen, ließ er demonstrativ Kunstwerke an seinen Hauptwohnsitz London verschiffen. Schließlich zwang der Bankrott seines Unternehmens Solly zum Einlenken. Aber noch Jahre später klagte er gegen den preußischen Staat, von dem er sich übervorteilt fühlte. 1827 bekam er in einem Vergleich weitere 130.000 Taler zugesprochen. Im selben Jahr erwarb der bayerische König Ludwig die etwa 270 Bilder umfassende Altmeistersammlung der Brüder Boisserée für knapp dreihunderttausend Taler. Billiger als Preußen konnte man die Creme der frühen europäischen Malerei nicht bekommen.
Wie aber stellt man das aus? Der Kunsthistoriker Robert Skwirblies, der über die Sammlung Solly promoviert hat, und die Kuratoren der Gemäldegalerie haben sich für eine zweigeteilte Präsentation entschieden. Einerseits haben sie die Solly-Bilder in der Dauerausstellung am Kulturforum mit weißen Tafeln markiert; so wird deutlich, wie viele bedeutende Gemälde im heutigen Bestand noch aus dem Verkauf von 1821 stammen. Andererseits führen sie ausgewählte Werke in einer Kabinettschau zusammen. Darin geht es weniger um deren Qualität an sich als um den künstlerischen Wert, der ihnen seit der Erwerbung zu- oder auch abgeschrieben wurde.

Die preußische Staatsgemäldesammlung, die 1830 in Schinkels Altem Museum ihren ersten festen Standort fand, war von Beginn an historisch angelegt, sie wollte die Entwicklungsgeschichte der Malerei an Beispielen zeigen. Zugleich suchte man wie selbstverständlich nach den herausragenden Vertretern der einzelnen Epochen. Große Namen dienten sowohl Solly als auch den preußischen Kulturbürokraten, die ihren König zum Kauf überreden mussten, als Druckmittel. So wurde ein um 1500 entstandenes lombardisches Marienbild Leonardo, eine „Salome“ von Girolamo Romanino dem berühmteren Giorgione zugeschrieben. Heute trägt das erste Bild die Spuren jahrzehntelangen Lagerns im Depot, das zweite ist üblicherweise nur in der Studiensammlung im Erdgeschoss zu sehen. Eine flämische Madonna von 1480 galt Aloys Hirt als echter Van Eyck, ein „Segnender Christus“ aus Spanien als Werk der Carraccis. Aber auch das Gegenteil, die Verkennung, kam vor: Rembrandts „Jakob ringt mit dem Engel“ wurde von der Einrichtungskommission für das Alte Museum als Schülerwerk eingestuft. Selbst die „Maria mit dem Kind“ des vergötterten Raffael von 1502, heute als Madonna Solly bekannt, war für den Zeitgeschmack nicht klassisch genug, weshalb man eifrig nach weiteren Raffael-Madonnen für Berlin suchte. Heute sind es fünf.
Sein kostbarster Besitz steht in Gent
Die Solly-Schau führt so tiefer in die Museumsgeschichte zurück, als es Ausstellungen sonst vermögen: Sie zeigt, wie mit dem Haus der Bilder auch ein neuer Blick auf Bilder, Stile, Sujets, auf die Kunst überhaupt entstand. Dafür lohnt sich die Begegnung mit den Fragmenten einer Sammlung, die für Solly zum größten Teil nur „handelswaare“ war, wie er in einem Brief bekannte. Sein kostbarster Kunstbesitz ist unter den siebenhundert in Berlin verbliebenen Solly-Bildern ohnehin nicht mehr vorhanden: Die sechs Seitentafeln des Genter Altars der Eyck-Brüder, die er 1816 für viertausend Pfund bei einem belgischen Händler erworben hatte, wurden gut hundert Jahre später als Reparationsleistung nach Belgien zurückgebracht. Als Erinnerung an sie hängt eine schwarz-weiße Reproduktion der „Singenden Engel“ in der Ausstellung. Die Geschichte der deutschen Museen ist auch die ihrer Verluste, nicht nur in Berlin.
Die Sammlung Solly 1821–1921. Gemäldegalerie am Kulturform Berlin, bis zum 16. Januar. Der Katalog kostet 36 Euro.