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Sicherlich sind Talkshows keine außen- und sicherheitspolitischen Strategieseminare, um nüchtern über die politischen Optionen einer Mittelmacht zu diskutieren. Aber bisweilen geben sie einen Einblick in die Unfähigkeit, solche Optionen überhaupt noch zu denken. Insofern muss diese Sendung über „Trump und die Mullahs: Hat die Vernunft noch eine Chance?“ als gelungen betrachtet werden.
Was hierzulande unter Vernunft verstanden wird, scheint sich in eine Art Paralleluniversum abzuspielen. Oder glaubt jemand ernsthaft an die Möglichkeit, einen der einflussreichsten Repräsentanten des iranisch-islamistischen Expansionismus namens Qassem Soleimani festnehmen zu können, um ihn vor Gericht zu stellen? Diesen Vorschlag machte Jürgen Trittin. Natürlich glaubt der immer noch einflussreichste Außenpolitiker der Grünen selber nicht an die Bereitschaft Irans, einen ihrer Generäle auszuliefern. Aber dahinter steckt ein Verständnis von Außenpolitik, das Vernunft als die Formulierung wolkiger Phrasen definiert. In einem lichten Moment fand der Politikwissenschaftler Christian Hacke später eine passende Antwort zu solchen Ideen. Wir lebten in einem „Zeitalter brutaler Großmachtdiplomatie, gestützt auf militärische Macht.“
Bei uns gilt mittlerweile selbst diese schlichte Beschreibung von Fakten als Verstoß gegen die guten Sitten. So führte Norbert Röttgen wahre Eiertänze auf, um die Frage nach der völkerrechtlichen Legitimation dieses amerikanischen Angriffes nicht beantworten zu müssen. Der CDU-Außenpolitiker plädierte als Repräsentant der Bundesregierung für eine differenzierte Sichtweise. Die lässt sich vielleicht so zusammenfassen: Diese Tötung ist zwar irgendwie abzulehnen, wobei die Begründung für dieses Vorgehen trotzdem plausibel erscheint. Immerhin machte Röttgen deutlich, warum die völkerrechtlich definierten zwischenstaatlichen Beziehungen keineswegs mit einem innerstaatlichen Rechtsstaat zu verwechseln sind. Tatsächlich beruft sich jeder Staat im Konfliktfall auf das Selbstverteidigungsrecht gemäß Artikel 51 der UN-Charta. Der Krieg ist nämlich seit der Gründung der Vereinten Nationen kein akzeptiertes Mittel der Politik mehr.
Das hat Kriege zwar nicht verhindert, aber immerhin die bis 1945 obligatorische Kriegserklärung abgeschafft. Insofern hatte die Bemerkung Trittins über die zunehmende „Verwischung der Grenzen zwischen Krieg und Nicht-Krieg“ zwar eine gewisse Originalität. Nur gibt es das Phänomen seit Jahrzehnten, und nicht erst seit dem Angriff von Bagdad. Melinda Crane machte zudem auf die Praxis des Drohnenkrieges aufmerksam, die schon die beiden Vorgänger Donald Trumps in ihrer Amtszeit praktiziert hätten. Die für die Deutsche Welle arbeitende amerikanische Journalistin verfehlte aber den entscheidenden Unterschied: George Bush und Barack Obama begründeten das mit dem „Kampf gegen den Terrorismus“, somit gegen irreguläre militärische Einheiten. Hier stellte Trittin die richtige Frage, ob sich nämlich die Vereinigten Staaten jetzt „im Krieg mit Iran befinden.“ Die Tötung eines führenden Generals einer auswärtigen Macht ist zweifellos als Kriegshandlung zu werten.
An diesem Punkt zeigte sich das Elend der deutschen Debatte. Hacke verstieg sich sogar zu der seltsamen These, es handele sich dabei um einen „Zivilisations- und Kulturbruch.“ Warum dieser General eine solche zivilisatorische Rücksichtnahme beanspruchen darf, konnte Hacke allerdings nicht erklären. Stand Soleimani doch auf jeder Terrorliste des Westens an prominenter Stelle, worauf Röttgen hinwies. Seine Doppelfunktion als Cheforganisator eines schiitischen Netzwerkes und als Repräsentant des iranischen Staates führe nach dieser Logik zur „faktischen Immunität für den Terroristen“, so Röttgen. Nur gehörte es immer zur Politik der Islamischen Republik, sich dieser Doppelstrategie einer revolutionären Macht und eines klassisches Nationalstaat zu bedienen. Schon Henry Kissinger konstatierte Teheran im Jahr 2014 mit „außergewöhnlichem Geschick und Beharrlichkeit“ sein erklärtes Ziel zu verfolgen, um „das Staatensystem des Nahen und Mittleren Ostens zu unterminieren und den westlichen Einfluss aus der Region zu verdrängen.“ Diese Logik hat der amerikanische Präsident erkennbar unterbrochen: Er hat gegenüber Iran als Nationalstaat eskaliert und zwang ihn damit zu einer Reaktion.
Das könnte man als Strategie verstehen, passt aber nicht zu den üblichen Vorstellungen über Donald Trump. Damit entsprach die Runde weitgehend der Stimmung in Deutschland. Allerdings ist nichts von dem eingetreten, was die Trump-Verächter ab dem 3. Januar so alles prognostizierten. Es gibt weder einen Weltkrieg, noch hat der Iran den westlichen Einfluss zurückgedrängt. Vielmehr dokumentierte erst einmal nur Iran seine Hilflosigkeit: Er schoss angeblich bei seinen Raketenangriffen auf amerikanische Stützpunkte im Irak absichtlich daneben. Um aber gleichzeitig vorher einen „Albtraum“ für die Vereinigten Staaten anzukündigen und nach dem Angriff den vermeintlichen Tod von achtzig amerikanischen Soldaten mitzuteilen. Zugleich soll der Iran mit Hilfe diplomatischer Kanäle über die bevorstehenden Angriffe auf irakisches Territorium informiert haben, nicht zuletzt um amerikanische Verluste zu vermeiden. Das eigentliche Desaster passierte mit dem Abschuss eines ukrainischen Passagierflugzeuges im Teheraner Luftraum. Iran ist der erste Staat der Welt, dessen Luftabwehr eigene Zivilisten getötet hat. Warum das Regime nicht den Luftraum schloss, obwohl es mit amerikanischen Vergeltungsschlägen rechnete, kann es nicht erklären. Es brauchte zudem drei Tage, um die Lüge eines technischen Defektes der Boeing 737 einzugestehen. Das Regime in Teheran verwickelt sich in heillose Widersprüche, die sich in der Weltpolitik aber wohl nur ein Donald Trump via Twitter leisten kann.
Trotzdem diagnostizierte Hacke einen „Offenbarungseid“ für die amerikanische Nahostpolitik. Den eigentlichen Offenbarungseid hatte er leider übersehen, den musste das Regime in Teheran leisten. Golineh Atai machte deutlich, was darunter zu verstehen ist. Der Absturz des Passagierflugzeugs sei „der Höhepunkt des moralischen Bankrotts eines Systems, das Religion für Politik missbraucht." Die frühere Auslandskorrespondentin des WDR schilderte die Unfähigkeit des Regimes, elementare Staatsfunktionen sicherzustellen, um vor allem der Jugend eine Perspektive zu bieten. Das bedeutet noch nicht den bevorstehenden Sturz der Islamischen Republik, aber den Kollaps jener islamischen Werte, die der schiitische Islamismus seit dem Jahr 1979 als Gegenentwurf zur westlichen Dekadenz proklamiert hat. Tatsächlich repräsentiert das Regime in Iran den Zynismus einer um das Überleben kämpfenden herrschenden Klasse. Viele Beobachter im Westen brauchten wohl erst die vergangenen Tage, um diese Wirklichkeit hinter der propagandistischen Fassade überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Eine Golineh Atai gehörte noch nie dazu.
Ansonsten würde sich niemand mehr die Frage stellen, ob dieser Zynismus durch diplomatische Rücksichtnahme besänftigt werden muss. So kritisierte nicht nur Hacke die offene Unterstützung des amerikanischen Präsidenten für die iranische Opposition. Aber glaubt jemand in Europa, damit ein Entgegenkommen Teherans zu erreichen? Iran wird deshalb weder die innenpolitischen Repressalien beenden, noch auf die Durchsetzung seiner außenpolitischen Ziele verzichten. Diese Unzulänglichkeiten in der politischen Analyse zeigten sich nicht zuletzt bei der Debatte um das von den Vereinigten Staaten gekündigte Atomabkommen. Das war vor vier Jahren nur möglich geworden, weil die Vereinigten Staaten auch schon unter früheren Präsidenten keinen Zweifel daran gelassen hatten, eine iranische Atombombe als Kriegsgrund zu betrachten. Davon war am Montag nicht die Rede. Verhandlungen funktionieren mit solchen Regimen halt nur, wenn Kompromissfähigkeit mit der Androhung eines empfindlichen Übels bei Ablehnung kombiniert wird. Iran wusste das schon immer, und handelte deshalb machtpolitisch rational. Das meinte Jürgen Trittin aber nicht, als er in Teheran eine unter Umständen größere Rationalität als bei der aktuellen Regierung in Washington vermutete.
Was damit eher gemeint war, formulierte Christian Hacke in einem unbedachten Moment. Vielleicht sei das „Machtvakuum“ nach einem Rückzug des Westens im Nahen Osten „gar nicht so schlimm, wie alle meinen.“ Kissinger beschrieb die Lage vor fünf Jahren anders. Der Vormarsch der sunnitischen Gotteskrieger entlang der Grenzen des Iran könnte „seine Führer zum Nachdenken bewegen“. Aber es sei ebenso möglich, dass „Teheran eine strategische Landschaft erblickt, die sich zu seinen Gunsten verändert und seinen revolutionären Kurs bestätigt.“ Für welche Option sich Iran entscheide, werde „von seinen Kalkulationen und nicht von vorgefassten Meinungen in den USA bestimmt werden.“ Ein solcher Realismus ist zwar fünf Jahre später in den verfeindeten Lagern in Washington nicht mehr zu finden. Dafür könnten allerdings unsere „vorgefassten Meinungen“ vor allem das Ergebnis unserer Schwäche sein. Insofern formulierte diese Sendung wohl nicht das, was man Teheran zur Zeit vermitteln sollte.