War was, Doc?

Wo steht geschrieben, was mir vorbestimmt ist? Und darf’s ein bisschen mehr sein als nur ein Stück Himmel, durchs Fenster gesehen? Das ist, in den Kategorien der Popmusik, die Hookline von Barbra Streisands Lied „A Piece of Sky“ – und zugleich die des Films „Yentl“ von 1983, in dem sie Regie führte und die Hauptrolle spielt. Er basiert auf Isaac Bashevis Singers Kurzgeschichte „Yentl, Yeshiva Boy“ über ein jüdisches Mädchen aus dem polnischen Shtetl um die Jahrhundertwende, das sich als Junge verkleidet, um studieren zu können. Es entspinnt sich eine Dreiecksgeschichte mit dem Kommilitonen Avigdor und dessen Verlobter Hadass, die sich in Yentl verliebt, während diese Hadass liebt. Und vielleicht sind das Lied, der Film und Yentls Ausruf „Nothing’s impossible!“ auch die Hookline zur Karriere von Barbra Streisand – denn es geht ja darin freilich nicht nur um die Kritik am orthodoxen Judentum, sondern auch um moderne Rollenbilder und Karrieremöglichkeiten für Frauen schlechthin.
Davon konnte die 1942 in Brooklyn Geborene und bald darauf Halbwaise ein Lied singen. Trotz Skepsis der Mutter setzte sie ihren Willen durch, es im Showgeschäft zu versuchen. Ähnlich wie Bob Dylan machte Barbra Streisand im New Yorker Greenwich Village ihre Anfänge als Sängerin – nur nicht in der Folkmusik, sondern im Great American Songbook und im Musical. Dann ging es schnell. Ihre voluminöse Stimme und ihr theatralisches Talent wurden gefeiert, mit zwanzig hatte sie am Broadway Erfolg in dem Stück „I Can Get It for You Wholesale“, kurz danach präsentierte sie ihr Debütalbum. Bei Columbia Records hatte sie einen für eine Interpretin ungewöhnlichen Vertrag ausgehandelt, der ihr freie Songauswahl ermöglichte – ein auch für spätere Alben und somit für ihr Profil bedeutender Schachzug.
Zu lang auf der Kirmes
Sie nutzte die Freiheit, indem sie von Star-Songschreibern wie Harold Arlen nicht die bekanntesten Titel wählte, sondern dessen mit Truman Capote geschriebenes „A Sleepin’ Bee“, oder auf ihrem zweiten Album mit der delikaten Version von Billy Barnes’ „I Stayed Too Long at the Fair“. In den Siebzigern bewies sie, dass sie auch Soulgesang beherrscht („Stoney End“), nahm bald Disco-Nummern auf (so mit den Bee Gees). Es folgten Soft-Pop, viele Balladen und Duette, bei denen sie Partner wie Neil Diamond oder Don Johnson an die Wand sang.

Auf mehr als sechzig Alben hat sie so ziemlich jedes Genre gesungen, auch traditionelle jüdische Lieder wie eine Adaption des Gebets „Avinu Malkeinu“. Ihre Balladen, die oft gleichzeitig die Titelsongs ihrer Filme wurden, sind im Vergleich etwa zu denen von Carole King noch mal deutlich seidiger bis schmalziger – und vielleicht auch gerade darin zu einem Inbegriff von amerikanischer Intimität geworden, der manchen als typisch amerikanischer Kitsch gilt – „misty watercolor memories of the way we were“, wie sie singt.
Streisands Leinwandkarriere begann Ende der Sechziger mit den Musical-Verfilmungen „Funny Girl“ und „Hello, Dolly“. An Peter Bogdanovichs Screwball-Komödie „Is’ was, Doc?“, in der sie 1972 Ryan O’Neal verrückt machte und auch manche Zuschauer durch Turbogeplapper, scheiden sich, wie jüngst eine Umfrage der „New York Times“ zeigte, bis heute die Geister. Von Sidney Pollacks Liebesdrama „The Way We Were“ (1973) hingegen bleibt mehr als verschwommene Wasserfarb-Erinnerung: nämlich die ins Kinogedächtnis eingebrannte an das Traumpaar aus Streisand als Kommunistin und Robert Redford als Über-Amerikaner, das leider scheitert.
Schickt die Clowns rein!
Die teils harsche Kritik an ihrem Regiedebüt „Yentl“ machte Streisand zu schaffen; dennoch raffte sie sich einige Jahre später zu dem gelungenen Drama „Herr der Gezeiten“ (1991) auf. Wie oft kolportiert wurde, entsprach Streisands Gesicht zu Beginn ihrer Karriere nicht dem Schönheitsideal. Wer sieht, wie sie in „Is’ was, Doc?“ das erste Mal durchs Regal schaut, kann sich indes kaum Schöneres vorstellen. Daher wirkt es in ihrem Film „Liebe hat zwei Gesichter“ (1996) recht unglaubwürdig, wenn sie hier noch einmal das hässliche Entlein spielt – war sie doch längst eine Ikone geworden. Einige sehen sie auch als Aushängeschild des „Second Wave Feminism in New Hollywood Cinema“ (so der Titel eines Universitätsvortrags). Sie hat sich vielfältig engagiert, für Frauen, für demokratische Politiker, gegen Antisemitismus und gegen Donald Trump.

Ihre auf ihn zielende Parodie das Songklassikers „Send in the Clowns“ bei einer Abendgala wird ebenfalls in Erinnerung bleiben. Barbra Streisand, die als Perfektionistin bekannt ist, ein Buch über Design veröffentlicht hat und sich, wie man liest, auf ihrem riesigen Anwesen in Malibu ein Phantasie-Neuengland am Pazifik eingerichtet hat, wurde schon 1963 vorhergesagt, sie werde noch in fünfzig Jahren berühmt sein. So ist es gekommen und noch besser. Heute feiert sie ihren achtzigsten Geburtstag.
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