Wann werden sie merken, dass sie nicht singen sollen?

Hätte das damals in dieser Zeitung abgegebene Urteil noch Bestand, müsste man über die Tage vom 25. bis 29. September 1968 nicht mehr reden: „eine gigantische Massierung des Mittelmäßigen und in ihrer Konzeption voller Widersprüche“, hieß es nach den Internationalen Essener Songtagen. „Wann werden sie merken, dass sie nicht singen, sondern Politik machen müssen, wenn sie Politik machen wollen“, rief der Kritiker den jungen Rockmusikhörern zu, die eben nicht nur Frank Zappa und den Mothers of Invention, Julie Driscoll, Brian Auger & The Trinity und Franz Josef Degenhardt gelauscht hatten, sondern auch intensiv über das Politische in der Kunst debattiert hatten.
Fünfzig Jahre später gelten die Essener Songtage als Gründungsmoment der deutschen Rockmusik. Tangerine Dream, Guru Guru, Floh de Cologne und die Folkloretruppe City Preachers (kurz vor ihrer Metamorphose zur Rockband Frumpy) traten erstmals vor einem großen Publikum auf. Amon Düül waren mitten in ihrem schmerzhaften Spaltungsprozess und schickten deshalb nur den Teil der Münchner Kommune nach Essen, dem mehr an Gemeinschaft und weniger an Musik gelegen war. Krautrockbands oder ihre Vorläufer trafen auf politische Barden von Degenhardt bis Wader, von Süverkrüp bis Insterburg. Kurz: Es war, nach Monterey und vor Woodstock, das erste große Festival auf deutschem Boden.
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