Atemlos durch die Schlacht

Für viele Amerikaner, zu denen der 1952 im schottischen Dumberton geborene David Byrne offiziell erst seit Annahme der US-Staatsbürgerschaft vor sechs Jahren gehört, gilt ein Gastauftritt in der TV-Serie „The Simpsons“ als Ritterschlag der Coolen und Bösen. Bei Byrne geschah es im Jahr 2003, als er sich mit Homer Simpsons Song „I Hate Ned Flanders“ in der Sendung verewigte, in die er mit seiner Musik für intellektuell anspruchsvolle Zeitgenossen so gar nicht zu passen scheint.
Doch vermählen die Simpsons wie wenig andere Formate niederste Instinkte mit Harvard. Byrne tritt dandyhaft gekleidet und mit klarem Englisch in die Kneipe, weil er von draußen „Indigene Springfield-Musik“ gehört habe, worauf der Wirt der Schenke anstelle einer Begrüßung ehrfurchtsvoll Byrnes vielfältige Begabungen von Talking-Heads-Sänger, Künstler (er hat mehrere Kunstbücher ediert, ist Maler und Fotograf) über Filmkomponist bis Regisseur herunterstammelt. Byrne fügt dem das Unerwartete hinzu: „And I used to wrestle under the name of El Diablo.“ Dass er sich selbst noch als Ringer betätigte, würde auch keinen mehr wundern, performt er doch bereits den Song „Psycho Killer“ 1977 stets derart überzeugend, als könnte er sich aus autobiographischen Gründen direkt in diesen hineinversetzen. Der Liedtext ist hohe Literatur mit französischen Bildungsbürgerpassagen, eine Feier des Abseitigen und schrägste Musik zugleich. Nach vollzogener Tat fühlt sich der beschriebene Psycho-Killer „Fa Fa Fa Far better“, viel besser also, wobei das Fa aus der Solmisation DoReMiFa natürlich gleichzeitig dem gesungenen Ton entspricht.

Vor allen anderen hat Byrne das erfunden, was heute als Weltmusik eine eigene Rubrik im Plattenladen hat. Seit 1981 wandelte er auf Solopfaden. Im selben Jahr stach die mit Brian Eno aufgenommene Platte „My Life in the Bush of Ghosts“ erstmals durch organisch klingende Einsprengsel authentischer Ethnomusik hervor, die noch mit dem Tonband aufgenommen wurden, was naturgemäß die Suche und die Reise zu diesen Stimmen und Instrumenten einschließt. Sein 1990 gegründetes Weltmusiklabel Luaka Bop umfasst lateinamerikanische Musik ebenso wie afrikanische und asiatische.
Im klingenden Geisterbusch
Wie aber schon die Macher der Simpsons verstanden, ist Byrne nicht nur ein begnadeter Musiker, sondern fesselt vor allem durch die Verschmelzung von Medien, etwa indem er die künstlerische Gestaltung seiner und anderer Cover sowie die der Musikvideos übernimmt. Es ist ein Gesamtkunstwerk, stilistisch dem Surrealismus nahe, mit Bildern aber, die man selbst bei Dalí, Leonora Carrington oder Dorothea Tanning so noch nicht gesehen hat, und mit schiefen Tönen, die so noch nicht gehört wurden.

Was aber seine letzten Konzerte in Deutschland wie etwa „American Utopia“ 2018 mit den Liedern und darin aufgerufenen Bildern der Siebziger und Achtziger verbindet, ist eine Körper-Klang-Motorik, die so nur ihm eignet. Der amerikanische Schotte amalgamiert in seinem inneren Melting Pot Sambaschritte und College-Ticks ebenso wie New-Wave-Robotik mit afrikanischen Tänzen derart organisch, dass es an keiner Stelle aufgesetzt oder kolonial angeeignet erscheint. Oft genug erfand er eigene Gesten für Songs, so beispielsweise für „Once in a Lifetime“ das parataktische Zerhacken von Zeit auf dem Unterarm, zu erleben live und im Musikvideo.
Wenn nun David Byrne noch bis Oktober in der gigantischen Völklinger Stahlhütte in der Geschichte der wichtigsten Musikvideos mit dem von ihm selbst (zusammen mit Stephan R. Johnson) gedrehten Clip „Road to Nowhere“ vertreten ist, belegt dies nur: Er kann seinen heutigen siebzigsten Geburtstag in dem beruhigenden Gefühl begehen, dass er zum Kanon der Musikgeschichte nicht nur gehört, vielmehr diesen aktiv mitgestaltete. Und ihm viele wichtige Abseiten hinzugefügt hat.
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