Mit der Kamera gegen die Mafia

Das Blut war noch nicht trocken, da war sie schon mit der Kamera zur Stelle. In der Dunkelkammer hatte Letizia Battaglia den Polizeifunk abgehört und sich dann, ihr Partner Franco Zecchin lenkte die Vespa, auf den Rücksitz geschwungen. Noch vor den Carabinieri erreichte sie den Tatort und gewahrte Gräueltaten, wie sie damals in Palermo an der Tagesordnung waren: Politiker, Richter und Staatsanwälte, Geschäftsleute und Gewerkschafter wurden von der Cosa Nostra auf offener Straße umgebracht, in ihren Autos massakriert, vor den Augen ihrer Frauen und Kinder erschossen.
Wie Piersanti Mattarella, damals Präsident der Region Sizilien (und Bruder des heutigen Staatspräsidenten), der am 6. Januar 1980, einem ruhigen, menschenleeren Sonntag, vor seinem Haus in der Via Libertà niedergestreckt wurde. Es waren die „bleiernen Jahre“ der Stadt.
Die Fotografin war Augenzeugin und Anklägerin der „ehrenwerten Gesellschaft“. Die Verbrechen der Mafia, Opfer und Täter, Hingerichtete und Hinterbliebene, Trauernde und Trostspendende, die Witwen, Mütter und Kinder, verhaftete Bosse und Staatsanwälte mit ihren Leibwächtern hat sie porträtiert: Bilder von stummer, oft schockstarrer Dramatik, voller Blut und Tränen, Verzweiflung und Entsetzen.
Bilder voller Blut und Tränen
Nicht nach Kunst, sondern nach Aufklärung stand Letizia Battaglia der Sinn. Als Bildjournalistin arbeitete sie für die kleine, linke Zeitung „L’Ora“ und im Auftrag einer Öffentlichkeit, die lieber wegschaute und sich mit der brutalen Wirklichkeit arrangierte. Ihre Aufnahmen waren bildliche Aufschreie gegen die Omertà, die die sizilianische Gesellschaft verinnerlicht hatte: Aufforderungen, das tödliche Schweigen zu brechen.
Oft hat sie „nur draufgehalten“, mehr als sechshunderttausend Fotos sind entstanden. Zu Stacheln im Bewusstsein der Öffentlichkeit und weltweit beachtet wurden die besten von ihnen durch ihre Bildkomposition und verstörende Unmittelbarkeit, Reportagefotografie in der Tradition von Henri Cartier-Bresson, durchweg – „aus Respekt vor den Opfern“ – in Schwarz-Weiß.
Ihr Leben ist nicht geradlinig verlaufen: 1935 in Palermo geboren, Heirat mit sechzehn, drei Töchter, Scheidung mit Mitte dreißig und „Flucht“ nach Mailand, wo sie drei Jahre als Journalistin arbeitete, ehe sie mit Franco Zecchin nach Sizilien zurückkehrte. „Ich wollte nicht Fotografin werden, es war die Aufgabe, die sich mir gestellt hat. Wenn ich die Bilder sehe, kommen die Übelkeit und der Ekel von damals wieder hoch, als ich sie gemacht habe. Sie verfolgen mich bis in meine Träume. Ich bin keine Kriegsberichterstatterin, obwohl wir hier einen zivilen Krieg führten“, sagte sie 2007 im Gespräch mit dieser Zeitung.
Anfang der Neunzigerjahre hat Letizia Battaglia aufgehört, die Mafia zu fotografieren, und das nicht nur, weil „L’Ora“ eingestellt wurde. Das Attentat auf Giovanni Falcone, der 1992 mit seiner Eskorte auf der Autobahn in die Luft gesprengt wurde, sprengte die Grenzen der Darstellbarkeit. Leoluca Orlando, der 1985 erstmals Bürgermeister von Palermo wurde, machte sie 1987 zur Dezernentin für „Urbane Lebensqualität“, die in ihrer dreijährigen Amtszeit Fußgängerzonen und am Foro Italico einen Park mit Palmen anlegen ließ, der die Stadt näher ans Meer holte. „Ihre Vorschläge bewegten sich immer am Rande der Legalität und zielten darauf ab, denen am Rande der Gesellschaft zu helfen“, sagte Orlando in einer ersten Würdigung der Weggefährtin: „Letizia war eine außergewöhnliche Person, die sichtbar machte, was unsichtbar war.“
Ihre Heimatstadt, in der sie 2017 ein „Zentrum für internationale Fotografie“ gründete, hat Letizia Battaglia nie losgelassen: In Palermo ist sie am Mittwoch im Alter von 87 Jahren gestorben.
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