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Josef Klees schiebt das große Tor der Halle auf, in der eine Cessna auf einen Flug übers Ahrtal wartet. Wo an diesem Abend Flugzeuge stehen, lagen in den Tagen nach der Flut im vergangenen Sommer Leichen, die von den Hubschraubern aus dem Tal geborgen worden waren. Einige Vereinsfreunde von Josef Klees aus dem Luftsportverein Bad Neuenahr-Ahrweiler haben sie in der Halle liegen sehen. Die Leute aus dem Verein unterstützten damals die Einsatzkräfte im Tower.
Klees war in dieser Zeit nicht am Flugplatz, weil er selbst sein Zuhause verloren hatte und sich mit seiner Frau um die zwei kleinen Kinder kümmern musste. Jetzt ist von dem Inferno nichts mehr zu sehen, in der Halle stehen die Segler und Motorflugzeuge, als wäre nichts gewesen.
Klees zieht die Cessna aus der Halle. Erst vor wenigen Wochen ist er erstmals wieder länger geflogen seit der Flutnacht. „Vorher saß mir der Stress zu sehr im Nacken“, sagt der Hobbypilot. „Der Kopf muss dafür frei sein.“ Klees war 14 Jahre alt, als er mit der Fliegerei anfing. Das sei ein Breitensport und im Verein mit ehrenamtlichen Fluglehrern auch weit günstiger als etwa in kommerziellen Flugschulen.
Zu dem Hobby kam er, als er mit seiner Familie von Kirchheim im Kreis Euskirchen nach Ahrweiler gezogen war. Damals machte er einen Rundflug vom Flugplatz Koblenz aus, und sofort war ihm klar: „Ich möchte fliegen lernen.“ Also fuhr er an einem Sonntagmittag rauf zum Flugplatz von Bad Neuenahr-Ahrweiler, bekam ein Anmeldeformular, das seine Eltern noch am selben Tag unterschrieben, trieb 100 Mark auf – und konnte damit die ersten zehn „Starts“ bezahlen.
Die Flugstunden im Segelflieger gaben ihm ehrenamtliche Lehrer. Die erste davon bekam Klees schon am Tag der Anmeldung. Den Blick auf das Ahrtal konnte er im Segelflugzeug damals noch nicht auskosten. „Da habe ich natürlich nicht drauf geachtet“, sagt er, während er prüft, ob das Flugzeug genug Öl hat.
Die erste Flugstunde liegt nun schon 25 Jahre zurück, und Klees ist so routiniert, dass er am Steuer den Blick schweifen lassen kann über das weite Land. Der Propeller dröhnt, das Flugzeug rollt auf Position. „Mit 500 Metern Straße kann man nichts anfangen, aber mit 500 Metern Startbahn öffnet sich die ganze Welt“, zitiert Klees einen früheren Vorsitzenden seines Vereins. Dann hebt er ab.
Felder und Häuser schrumpfen langsam. „Da unten ist Haribo“, sagt Klees und zeigt auf einen Komplex um einen großen grauen Kasten. Dorthin war er am 15. Juli mit seiner Frau und den zwei Kindern am Morgen nach der Flut gebracht worden. Die ganze Nacht hatten sie im ersten Stockwerk des Hauses unweit der Ahr ausgeharrt. Von hier oben kann er auch Karweiler sehen, wo die Familie in einer Übergangswohnung lebt. „Christine und Detlef haben uns ein sehr schönes Ersatzzuhause geschaffen“, sagt Klees über seine Gastgeber.
Die Cessna nähert sich dem Rhein, majestätisch zieht der Strom durch die grüne Landschaft. „Da ist der Petersberg“, sagt Klees und weist auf einen Gipfel des Siebengebirges, auf dem aus der Ferne das einstige Gästehaus der Bundesregierung zu sehen ist. Auf dem Rhein schippert ein Boot von einem Ufer zum anderen. „Das ist die Fähre in Linz, kurz danach mündet die Ahr in den Rhein.“ Dort wirkt die Ahr aus der Luft besonders winzig.
Verglichen mit der Zeit vor der Flut, sei die Mündung jetzt viel besser zu erkennen. Früher verdeckte viel Grün den Fluss. Klees nimmt Kurs gen Westen, den Lauf der Ahr hinauf. Die große Katastrophe wird aus einem Abstand von 2700 Fuß zu einem Detail im Landschaftsbild. Die Ufer der Ahr säumt ein brauner Rand. Flussaufwärts wird das Tal hinter Ahrweiler stetig enger, es zieht sich wie bei einem Trichter immer weiter zu.
Klees passiert seinen Heimatort und gibt einen Funkspruch ab, er ist nun über Dernau, in einer Höhe von 2500 Fuß. Unten schlängelt sich die Ahr durch das enge Tal. Überall Spuren der Verheerung. Ein Zug steht ohne Gleise in der Gegend herum, die Ahr zieht eine Schleife um eine braune Fläche. „Alles Baustelle“, sagt Klees. An einem Hang hat die Flutwelle eine tiefe Wunde in den Berg gerissen, ein ganzes Stück fehlt.
Durch die Fliegerei ist Klees geübt darin, den Zug der Wolken und das Wetter zu beobachten. An manchen Tagen steigt er mit einem Segelflieger auf, dann ist er ganz auf die Thermik angewiesen. „Ich sehe eine Wolke und weiß, ich muss dahin fliegen, weil da der Aufwind ist.“ Doch was im Juli vergangenen Jahres passierte, hatte er nicht ansatzweise kommen sehen.
Nach einer halben Stunde setzt Klees zur Landung an. Wenig später zieht er die Cessna an ihren Platz in der Halle. Zeit, sich auf den Heimweg ins „Ersatzzuhause“ zu machen – sein Haus ist wegen offener Versicherungsfragen noch eine Baustelle. Am 14. Juli jährt sich die Flutnacht. Die Folgen sind längst nicht ausgestanden.
Familie Klees aus Ahrweiler berichtet in dieser Serie darüber, wie sie die Flutkatastrophe bewältigt. Zuletzt ging es um das Zeitgefühl für die Monate nach der Flut, um den ersten Frühling, den improvisierten Alltag, das erste Weihnachtsfest, die Taufe des kleinen Sohns und die Anfänge der Sanierung des Hauses. Im F.A.Z. Podcast für Deutschland wurde Familie Klees in dieser Folge vorgestellt.