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Herr Schwan, wenn Sie sich an Hannelore Kohl erinnern: Wie sehen Sie sie vor sich?
Gepflegt. Glatte Haut, die Haare immer gleich. Etwas altmodische und dennoch teure Kleidung von besten internationalen Designern. Oft habe ich sie allerdings auch traurig erlebt.
Ich verbinde mit ihr vor allem dieses maskenhafte Gesicht und ein aufgesetztes Lächeln.
Das ist auch richtig. Die Perücke, die sie seit 1993 trug, und ihr immergleiches Lächeln legte sie morgens wie einen Panzer an, der sie auch innerlich schützte. So ging sie in den Kampf des Tages. Journalisten und Fotografen waren für sie Feinde. Aber sie wusste, in der Öffentlichkeit musste sie lächeln, für ihren Mann, für das Land. Das Maskenhafte legte sie ab, sobald sie die Tür hinter sich zumachte.
Und dann?
Dann konnte sie offen und schlagfertig sein und auch mal auf Sächsisch Witze erzählen. Viele Menschen schwärmen bis heute von ihrer mütterlichen Fürsorge und ihrem Sachverstand. Und von den vielen Politikergattinnen, die ich kennen gelernt habe, war niemand so eloquent wie sie. Niemand konnte auf Französisch Interviews geben und sich so für Musik und Filme begeistern. Sie war alles andere als eine „Barbie aus der Pfalz“.
Man kann sich das heute kaum noch vorstellen: Hannelore Kohl hat 41 Jahre lang an der Seite ihres Mannes ihre eigenen Bedürfnisse komplett untergeordnet. War das typisch für diese Generation?
Das war eine Frage der Erziehung. Hannelores Vater war Direktor eines NS-Musterbetriebes in Leipzig, und seine Frau gab Partys, sorgte für Gemütlichkeit und war immer schick und schön. Sie hat ihr diese Rolle vorgelebt.
Und der Tochter eiserne Disziplin und Pflichtbewusstsein eingeimpft?
Hannelores Mutter war eine distanzierte, kühle Frau, die im Gegensatz zu ihrem Mann niemals richtig Liebe zu ihrem Kind zeigen konnte. Die hatte die Erziehungsmaximen der Nationalsozialisten 1:1 übernommen. Als Hannelore am Blinddarm operiert wurde, notierte die Mutter, das Mädchen habe nicht geweint. Tapferkeit. Sauberkeit. Pünktlichkeit. Leistungsfähigkeit. Und bloß keine Gefühle zeigen. Diese Prinzipien hat Hannelore unbewusst auch an ihre Söhne weitergegeben.
Hat Frau Kohl sich mit der Nazi-Gesinnung ihrer Eltern je auseinandergesetzt?
Sie hat mir nie erzählt, was ihr Vater im Dritten Reich gemacht hat. Vielleicht wusste sie es gar nicht, was ich zu ihren Gunsten annehmen will. Sie war durch die vorbelasteten Eltern dazu erzogen worden, unpolitisch zu sein. Politik war für sie ein schmutziges Geschäft, sie litt unter den Intrigen, Kämpfen und Diffamierungen. Deshalb hat sie alles Politische von ihren Kindern ferngehalten. Wenn ihr Sohn Walter heute schreibt, dass er den Beruf seines Vater nicht kannte, aber wusste, dass der Nachbar Sohn eines Fernfahrers war, dann ist das das Werk der Hannelore Kohl.
Warum sucht sich eine Frau, die sich für Politik nicht interessiert, so einen Mann?
Als Hannelore sich Helmut Kohl mit 15 Jahren anschloss und ihn zwölf Jahre später heiratete, wusste man doch nicht, dass er der große Kanzler der Einheit sein würde. Sie ist die Ehe mit einem Mann eingegangen, der ihr ein Fels in der Brandung war nach dem viel zu frühen Tod ihres Vaters. Dann erst ging das los mit der Karriere ihres Mannes, und dann konnte sie sich nicht mehr befreien.
Hannelore Kohl gehört zur Generation der Kriegskinder, deren Schicksal erst in jüngerer Zeit in den Blick der Öffentlichkeit gerückt ist. Wie hat sie das geprägt?
Zunächst muss man sagen: Als andere längst darbten, genoss Hannelore noch eine wunderbare Zeit in einem Haus, das man sich gar nicht großbürgerlich genug vorstellen kann. Sportwagen, Opernbesuche, ein eigener Bunker für die Familie und ein Puppenhaus, in dem das Kind stehen kann. 1945 kam dann der Bruch, der totale Absturz. Die Familie flieht in die Pfalz, der Vater bekommt keinen Job, die Tochter muss betteln gehen, damit sie nicht verhungert. Und in den letzten Kriegstagen ist auf der Flucht vor den Russen dieses schreckliche Trauma passiert, das sie bis zum Tod nicht überwunden hat. Hannelore ist vergewaltigt worden, mehrfach, mit zwölf Jahren.
Sie brechen ein Tabu.
Ich habe mich oft gefragt: Warum hat sie mir davon erzählt? Nur zwei ihrer vielen Freundinnen wussten Bescheid. Und anders als ihnen hat sie sich mir nicht einmal unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut. Sie wusste, ich war in dem Team, um Kohls Memoiren zu schreiben. Es gibt nur eine Interpretation. Sie wollte, dass ich es irgendwann publizieren würde. Sie wollte damit etwas erklären, ihre Traurigkeit, ihr maskenhaftes Dasein. Schließlich hatte sie zeitlebens Schmerzen durch eine Rückenverletzung, die ihr damals zugefügt wurde und die sie immer an das Ereignis erinnerte.
Sie meinen, die Verdrängung funktionierte nicht richtig, weil die körperlichen Schmerzen sie ständig auf das Trauma zurückwarfen?
So ist es. Ich habe namhaften Psychotherapeuten meine Rechercheergebnisse vorgelegt. Auch der erste Selbstmordversuch 1993 stützt diese These.
Warum vermuten Sie einen Selbstmordversuch? Hannelore Kohl hat bis zuletzt ihren Hausarzt beschuldigt, ihr das Penicillin verabreicht zu haben, gegen das sie allergisch war, das sie beinahe umgebracht hätte und das später als Ursache ihrer Lichtallergie galt.
Das ist eine Legende. Dieser Hausarzt, der mit 93 Jahren noch immer leidet, dass er aus dem Umfeld der Familie hinausgedrängt wurde, hatte selbst die Listen angefertigt, auf denen stand, welche Medikamente Hannelore Kohl auf keinen Fall nehmen darf. Diese Listen lagen in den Dienstwagen, in der Wohnung, bei den Krankenhäusern in Ludwigshafen. Dieser Arzt kann das nicht gewesen sein.
Der ältere Sohn Walter Kohl hat diesen Frühling in einem Buch offenbart, dass ihn die Rolle als Sohn von Helmut Kohl beinahe in den Selbstmord getrieben hat. Was bedeutete es für Hannelore, mit diesem Machtmenschen verheiratet zu sein?
Natürlich war das eine große Last.
Und sie hat einfach akzeptiert, dass sie ein ums andere Mal aus den Medien von seiner Entscheidung für die Kanzlerkandidatur erfuhr? Dass sie die Kinder komplett alleine großzog? Dass nicht einmal im Urlaub ihre Wünsche zählten?
Die Kinder allein erziehen - das machen Millionen anderer Frauen auch, das finde ich nicht so tragisch. Aber natürlich war es eine Last, mit einem Mann verheiratet zu sein, der keine Zeit hatte. Erst recht nicht für die schönen Dinge des Lebens. Aber es ist ja nicht so, dass es keine Glücksmomente in ihrem Leben gegeben hätte. Mit ihren Freundinnen war sie in Monaco und Paris. Ein Highlight war auch, wenn sie mit dem amerikanischen Präsidenten ohne Dolmetscher parlierte und ihr Mann unbeholfen danebenstand.
Was hat die Spendenaffäre mit ihr gemacht?
Dass sich Hannelore im Juli 2001 umgebracht hat, hängt damit unmittelbar zusammen. Händeringend bat sie ihren Mann, die Namen der Spender zu nennen, um Schaden von der Familie abzuwenden. Die drohende Hausdurchsuchung, dass die Hannelore-Kohl-Stiftung in zum Teil unverschämter Weise in den Skandal hineingezogen werden sollte, dass sie auf der Straße angespuckt und als Spendenhure bezeichnet wurde - das war für sie nicht mehr auszuhalten.
Warum?
Für Hannelore war das eine Parallele zu dem Bruch von 1945. Sie hatte den Absturz nicht verschuldet und sah keine Chance, da herauszukommen. Außerdem war sie sehr einsam. Es gab zwar Freundinnen, die sie besuchten und in der Dunkelheit mit ihr spazieren gingen. Aber von ihrem Mann und ihren Söhnen fühlte sie sich oft alleingelassen. Dazu kamen die Gerüchte von Kohls Affäre mit einer jüngeren Frau.
Welche Rolle spielt die Lichtallergie, die immer als Ursache für den Tod genannt wird?
Diese Lichtallergie hat sie objektiv nicht gehabt. Lichtallergie bekommt man in jungen Jahren, kann man eindeutig diagnostizieren und gut behandeln. Die Dermatologen haben ihr das sogar gesagt. Allerdings muss Hannelore Kohl tatsächlich das Empfinden gehabt haben, dass sie sich vor Licht schützen müsse und von innen verbrenne. Hier hätte nur eine psychotherapeutische Beratung helfen können. Aber das hat sie abgelehnt.
Was bedeutet es eigentlich, wenn pünktlich zum Erscheinen Ihres Buches publik wird, dass die von Peter Kohl verfasste Hannelore-Kohl-Biographie verfilmt wird?
Ich habe die Söhne mehrfach befragt und hätte sie als Zeitzeugen gerne eingeschlossen. Aber sie wollten lieber einen gemeinsamen Fotoband machen. Als ich abgelehnt habe, ist der Kontakt abgebrochen. Durch meine Eigenständigkeit ist ihnen die Kontrolle über die Deutungshoheit entglitten.
Ihre Schilderungen von Hannelore Kohl haben passagenweise fast hagiographische Züge. Ist sie für Sie eine Art Heldin?
Wer diese Brüche erlebt, 41 Jahre an der Seite dieses Mannes durchsteht und so viel leistet für Menschen mit Hirnverletzungen - das ist heldenhaft. Ich habe Hannelore Kohl schätzen gelernt, sie hat sich mir offenbart, und es war für mich ein Stück Vermächtnis, ihre Geschichte weiterzutragen.
Gibt es etwas, das man von einer Frau wie ihr heute noch lernen kann?
Dass man nicht gleich das Handtuch wirft, aber auch nicht alles ertragen muss. Man kann bei Hannelore Kohl studieren, dass es nach einer gewissen Zeit lebensnotwendig gewesen wäre, die Trennung und ein anderes Leben zu wagen.
Die Fragen stellte Julia Schaaf.