Hilfe & Kontakt
Haben Sie Fragen oder benötigen Hilfe? Dann rufen Sie uns an unter (069) 7591 – 1000 Werktags von 7:00-18:00 Uhr sowie am Wochenende von 8:00-13:00 Uhr. Alternativ kontaktieren Sie uns gerne per Email.
Paro ist weiß, flauschig und klimpert gelegentlich mit seinen Murmelaugen. Außerdem schnurrt er, wenn man ihn streichelt. Seit Beginn dieses Jahrtausends setzen japanische Altenheime den optisch einer Sattelrobbe nachempfundenen Pflegeroboter ein, um dementen Menschen durch den Alltag zu helfen. Auch in wenigen deutschen Heimen soll er Angstzustände und Schmerzen lindern. Paro gilt als Vorhut einer Armada von Technologien, die ein gigantisches gesellschaftliches Problem lösen sollen: Mehr als vier Millionen Menschen sind in Deutschland aktuell auf Pflege angewiesen. Mit der Überalterung der Bevölkerung steigt die Zahl weiter an. Und so werden bis zum Jahr 2035 rund 500.000 Fachkräfte fehlen, um Pflegebedürftige zu versorgen.
Die Bundesregierung will dem Pflegenotstand mit Technologie abhelfen. Rund zehn Millionen Euro steckt das Bundesministerium für Bildung und Forschung in Forschungsprojekte zur Pflegerobotik. Doch längst macht sich Ernüchterung breit. „Wir sehen all die ambitionierten Forschungsprogramme. Doch in der Praxis nutzt eigentlich kaum jemand diese neuen Technologien“, sagt Alexander Peine, Professor für Technologie und Altern an der Universität Utrecht. Die technologischen „Pflegelösungen“ sind entweder ethisch nicht vertretbar, geradezu menschenunwürdig – oder noch lange nicht umsetzbar. Teilweise kommen sie auch einfach nicht in Alten- oder Pflegeheimen an.
Die Forschung dreht sich aktuell vornehmlich um zwei Arten der Pflegerobotik: Die erste Kategorie machen humanoide, also menschlich oder tierisch anmutende Roboter aus, die soziale Interaktion simulieren und zwischenmenschliche Kontakte ersetzen sollen. Paro ist dafür ein Beispiel. Die zweite Kategorie sind Service-Roboter, die Pflegeleistungen übernehmen, beispielsweise Maschinenarme, die bettlägerige Menschen aus dem Bett heben können. „Bei beiden Ansätzen ist eigentlich klar, dass sie mittelfristig nicht einsetzbar sind“, sagt Eva Hornecker, Professorin für Human Computer Interaction an der Bauhaus-Universität Weimar. „Es ist ethisch nicht vertretbar, alten Menschen eine Maschine vorzusetzen, die eine soziale und vor allem emotionale Interaktion vortäuscht“, sagt sie.
Künstliche Intelligenz sei sehr weit davon entfernt, ein Bewusstsein zu entwickeln und Gefühle empfinden zu können. Wenn ein humanoider oder tierisch anmutender Roboter als soziales Gegenüber Anteilnahme vorspiele, so sei dies letztlich eine Täuschung. Auch die reinen Service-Roboter hätten bislang nicht das technische „Feingefühl“, um alte und gebrechliche Menschen zu heben und zu transportieren, meint Hornecker.
Der Techniksoziologe Alexander Peine macht dafür die in der Robotik vorherrschende Sichtweise auf alte Menschen und das Altern verantwortlich: „Wir entwickeln Technologie aufgrund von Stereotypen. Wir reduzieren Menschen auf ihr Alter und sehen sie nur noch als Patienten. Außerdem denken wir, dass alte Leute mit Technik eigentlich nichts zu tun haben wollen.“ So entwickelten Forscher zum Beispiel Sensorsysteme, die überwachen können, ob ein Mensch in seiner Wohnung gestürzt ist. Kameras und Sensoren sind dabei nicht sichtbar, weil man die Leute nicht mit Technik belasten will. „So entsteht bei den Menschen ein diffuses Angstgefühl und ein Misstrauen gegenüber der Technik“, sagt Peine. Kaum jemand wolle ein solches Sensorsystem in seiner Wohnung haben.
Wie unterrepräsentiert das höhere Lebensalter in der Wissenschaft ist, sieht man auch an der verheerend geringen Datenlage über die Bedürfnisse alter Menschen. Als einer von wenigen Wissenschaftlern überhaupt versucht Peine herauszufinden, wie alte Menschen mit Technik umgehen und was sie von ihr eigentlich wollen. Dafür hat er eine Art neue Fachrichtung entwickelt und ein internationales Forschernetzwerk gegründet: Die „Socio-Gerontechnology“. Seine Befragungen ergaben beispielsweise, dass auch viele Leute über 65 Whatsapp-Treffen organisieren oder die Dating-App Tinder nutzen.
Wozu es führt, diese normalen menschlichen Bedürfnisse außer Acht zu lassen, zeigt ein neu entwickeltes Sensorsystem zur Reduzierung von Schlafstörungen. Es sollte „die Schlafenszeit der alten Menschen aufzeichnen und Unregelmäßigkeiten im Schlafrhythmus zeigen“. Nun stellte sich heraus, dass die Sensoren höchst merkwürdige Schlafstörungen anzeigten, wenn die beobachteten Menschen Sex hatten. „Dass auch alte Menschen mit den für das Alter typischen Schlafstörungen mal Sex haben können, hat keiner der Technikentwickler bedacht“, sagt Peine.
Die Forschergruppe um Eva Hornecker will ganz praktische neue Ideen für menschenwürdige Pflegetechnologie entwickeln. Statt Humanoiden sollen intelligente robotische Assistenzsysteme die Arbeit der Pflegekräfte erleichtern. Die Wissenschaftler wagten dafür den – für die Pflegerobotik bisher untypischen – Schritt in die Realität und machten Feldforschung in Altersheimen. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts rütteln mitunter an Tabus: Eine Idee ist eine Decke, die mit elektrischen Funktionen bei der Selbstbefriedigung helfen kann. Dort, wo Menschen die Decke berühren, erwidert sie die Berührung mit Vibrationen. „Sexualität und Selbstbefriedigung im Alter ist ein außerordentlich sensibles Thema. Die meisten Menschen mögen Nähe und sehnen sich nach Körperkontakt und Sexualität. Das hört auch im Alter nicht auf“, sagt Hornecker.
Vollständigen Inhalt im Originalbeitrag darstellen
Doch hat eine solche Technologie tatsächlich das Potential, den Pflegenotstand zu verringern? Wohl nicht im Grundsatz: „Die Pflege von Menschen ist im Kern eine emotionale Sache. Deshalb darf man sie nicht am falschen Punkt effizienter machen oder menschliche Fürsorge ersetzen“, sagt Eva Hornecker. Aber grundsätzlich biete Technologie sehr wohl Möglichkeiten, das Leben im Alter leichter zu machen – sie könnte zum Beispiel helfen, dass Menschen länger zu Hause wohnen bleiben können.