Putins flexible „rote Linien“

Der neuerliche russische Aufmarsch an den Grenzen zur Ukraine und auf der annektierten Krim lässt viele einen Angriff auf das nach Kreml-Lesart verräterische Bruderland befürchten. Mit Blick auf die hohen Risiken und Kosten ist es zwar gut möglich, dass es Präsident Wladimir Putin wieder bei „Übungen“ seines Militärs belässt, zu denen schon der Aufmarsch des vergangenen Frühjahrs deklariert worden war. Jedoch müssen entsprechende Angriffsszenarien zum Arbeitsprofil von Verteidigungsminister Sergej Schojgu gehören: Alles andere käme angesichts der regelmäßigen Ausfälle Putins gegen das Nachbarland der Insubordination gleich. Von Schojgus Diensteifer zeugt, dass er Putins im Juli erschienenen Artikel „Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern“, der einer eigenständigen Ukraine die Existenzberechtigung abspricht, prompt zur Pflichtlektüre für alle Soldaten machte.
Im jüngsten, besonders starken Ausbruch von Kriegsangst fällt auf, dass Moskaus Machtapparat mit Verzögerung auf die westlichen Vorwürfe reagiert. Seit Wochen warnen Washington und – selbst mit Verspätung – Kiew vor Truppenkonzentrationen. Lange beließ es Moskau bei Routine-Retourkutschen um „russophobe Hysterie“. Diese gibt es auch jetzt noch; so sagte Putins außenpolitischer Berater Jurij Uschakow am Freitag, es gebe „keinerlei Eskalation“, denn „wir haben auf unserem Staatsgebiet das Recht, Truppen zu bewegen“. Doch mittlerweile sind die Machtvertreter bemüht, jedwede Maßnahme, die Putin anordnen könnte, im Voraus zu rechtfertigen. So wirft Präsidentensprecher Dmitrij Peskow der Ukraine ihrerseits Truppenkonzentrationen vor, die befürchten ließen, dass Kiew eine „gewaltsame Lösung des Donbass-Problems“ erwäge. „Das ist sehr gefährliches Abenteurertum.“
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