Wo der Klimawandel voll zuschlägt
Text und Bilder von TIM NIENDORF18. Mai 2022 · Ein Fluss verschluckte Shaju Mias altes Leben – Hunderttausenden geht es ähnlich. Die verheerenden Folgen des Klimawandels sieht man in der Hauptstadt von Bangladesch. Eine Reise in ein Land im Umbruch und im Aufbruch.
Mohammad Shaju Mia streckt seine Arme aus und hebt das rechte Bein an. Seine Handflächen sind verdreckt, vernarbt, gezeichnet vom harten Leben als Tagelöhner, seine Fußsohle ist von Dellen zersetzt, sie stammen von einem Rikscha-Unfall, bei dem er auf den steinigen Straßengrund prallte. Kennte man nicht sein Gesicht, könnte man annehmen, es seien die Körperstellen eines alten Mannes. Shaju Mia aber ist erst 41 Jahre alt.
Als er noch jünger war, lebte er in einem Dorf. Ein schönes Leben sei das gewesen, sagt er. Seine Familie und er besaßen ihr eigenes Land, das sie bestellten. Wenn Saison war, kletterte Shaju Mia die Bäume hinauf, um zu pflücken, was diese hervorgebracht hatten. Er erntete die sonnengereiften Mangos und Litschis, und wenn er nicht die Früchte sammelte, so holte er seine Angelschnur und ging fischen oder kümmerte sich um das Vieh. All das bot ihm und der Familie ein ausreichendes Auskommen. Sie waren nicht reich, aber sie hatten so viel, dass es nicht nur für die Familie selbst reichte, sondern auch etwas übrig blieb, um es zu verkaufen. Er vermisse die Zeit sehr, sagt er.
Eines Tages trat ein Fluss über das Ufer und verschluckte sein altes Leben. Das Wasser riss alles fort. Sein Land, sein Haus, sein Vieh, seine Feldfrüchte, nichts blieb ihm mehr. Shaju Mia musste seine Heimat verlassen und war fortan ein Klimamigrant. Wie so viele Menschen in Bangladesch, wo der Klimawandel so hart zuschlägt wie in kaum einem anderen Land, trieb ihn ein extremes Naturereignis in die Hauptstadt, nach Dhaka. Seither heißt seine neue Heimat Block Nummer acht, Kalyanpur. Die Siedlung ist in verschiedene Abschnitte nummeriert, um sich besser orientieren zu können. 100.000 Bewohner leben in Kalyanpur, dem zweitgrößten Slum des Landes. Wellblechhütten reihen sich aneinander, hier und da stehen Müllsäcke am Wegesrand, Kleidung trocknet an der Luft, woanders wäscht man sie auf dem Boden, Kinder spielen mit Murmeln, Hunde streunen herum, manche liegen erschöpft auf dem Boden, ein Hund vergräbt seine Schnauze in einer Tüte und schnüffelt nach etwas Essbarem. Seit 15 Jahren lebt Shaju Mia nun schon hier – eines Tages will er wieder zurück.
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