Operation Ausverkauf

Die „Antiquitäten-Stube“ hatte ihre Heimat in der Kirchgasse der kleinen thüringischen Residenzstadt Rudolstadt, am Fuße der mächtigen Heidecksburg. Die im bescheidenen Rahmen recht erfolgreiche Antiquitätenhändlerin besaß privat auch eine stattliche Puppensammlung. Das klingt alles nach einer fast schon biedermeierlichen Idylle, die nicht ganz in die DDR der 1980er Jahre zu passen scheint. Tatsächlich fand diese Idylle in den Jahren 1986 und 1987 ein brutales Ende: Als die historischen Puppen von Bettina Wendl erstmals öffentlich gezeigt wurden (eine Privatsammlung blieb weitgehend steuerfrei, wenn sie der Öffentlichkeit zugänglich war), erregten sie wohl die Aufmerksamkeit von DDR-Staatsorganen. Ließen sich mit dem Verkauf der Puppen in den Westen vielleicht begehrte und volkswirtschaftlich dringend benötigte Devisen erwirtschaften? Da störte nur noch die Familie Wendl.
Schon bald zog sich unter dem wenig erfinderischen Codenamen „OV (operativer Vorgang) Puppe“ ein engmaschiges Netz um die „Antiquitäten-Stube“ und ihre Inhaberfamilie zusammen. Neben der federführenden Staatssicherheit waren etliche weitere Organe der DDR an dieser Operation beteiligt. Bald wurden in der Kleinstadt Gerüchte gestreut, das Ehepaar Wendl habe sich der Steuerhinterziehung schuldig gemacht. Schließlich wurden die Eheleute mit einem vermutlich völlig fingierten Steuernachzahlungsbescheid dazu genötigt, ihren gesamten geschäftlichen Warenbestand sowie ihre private Sammlung an den Staat abzutreten. Den Wendls blieb in dieser ausweglosen Lage nur noch die Geschäftsaufgabe und die Ausreise in den Westen.
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