Das weiße Licht in der Zelle

Ich werde durch einen Betonkorridor gezerrt: grauer Boden, die Unterseiten der Wände sind mit glänzender Ölfarbe in einem schmuddeligen Türkis gestrichen. Ich kann nichts anderes sehen: Ich werde nicht geführt, sondern geschleift, mein linker Arm ist verdreht, mein Kopf wird nach unten gedrückt, mir wurde befohlen, meine rechte Hand hinter meinem Rücken zu halten, sie umklammert immer noch die Plastiktüte mit ein paar Habseligkeiten, sie baumelt an meinem Hintern – das ist alles, was mir von der Welt geblieben ist, in der ich bis vor zwölf Stunden ein 47 Jahre alter Vater von drei Kindern und Redakteur der beliebtesten Zeitschrift in belarussischer Sprache war.
„An die Wand! Hände auf den Rücken!“ Ein Schlüssel dreht sich im Schloss. „Ab in die Zelle, Kämpfer!“ Die Zelle empfängt mich mit dem fauligen, stickigen, konzentrierten Geruch von Pisse und Scheiße, in den man eintaucht wie in das Wasser seines neuen Lebens.
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Im vergangenen Jahr wurden in Belarus mehr als 36.000 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert. Gegen den Autor des Textes, Andrej Dynko, wird weiter strafrechtlich ermittelt. Seine Kollegen, die Nascha-Niwa-Redakteure Jegor Martinowitsch und Andrej Skurko, sitzen im Minsker Wolodarka-Gefängnis.