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Zu intransparent?

Offener Streit bei Projekt für Corona-App

Von Morten Freidel
19.04.2020
, 20:21
Lässt wohl weiter auf sich warten: eine Corona-App Bild: dpa
Am Wochenende haben mehrere Wissenschaftler und Institute die europäische Initiative für eine Corona-App verlassen. Sie kritisieren den Ansatz zur Datenspeicherung, zu dem es keine offene Debatte gegeben habe.

Die kurze Geschichte der europäischen Initiative für eine Corona-App wirkte bislang, als entstamme sie einem Drehbuch für einen Hollywood-Katastrophenfilm: Wissenschaftler und Unternehmer schmieden im Angesicht der Katastrophe eine Allianz, programmieren die Nächte durch, eine europäische Regierung nach der anderen unterstützen das Projekt, und am Ende entsteht die Grundlage für eine App, die in ganz Europa die Pandemie einzudämmen vermag. Inzwischen aber ist die Initiative PEPP-PT angekommen in der Wirklichkeit. Denn nicht nur verzögert sich die App des Robert-Koch-Instituts (RKI) um mehrere Wochen, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag ankündigte. Im Projekt selbst ist auch offener Streit ausgebrochen.

Mehrere bedeutende Wissenschaftler und Institute haben PEPP-PT am Wochenende den Rücken gekehrt und schwere Vorwürfe erhoben. Am Freitag trat zunächst der Schweizer Epidemiologe Marcel Salathé, Professor an der Polytechnischen Universität in Lausanne aus dem Zusammenschluss aus. Salathé schrieb auf Twitter, die Initiative sei nicht „offen“ und „transparent“ genug. Er glaube zwar noch an die Kernideen, eine internationale Lösung für eine App zu finden, die zugleich die Privatsphäre der Nutzer respektiere, schrieb aber weiter: „Ich kann nicht hinter etwas stehen, von dem ich nicht weiß, wofür es eigentlich steht.“

Nach Salathé gab auch das in Deutschland beheimatete Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit bekannt, es wolle sich zurückziehen. Im Laufe des Wochenendes kamen noch weitere wissenschaftliche Institutionen hinzu: Die italienische „ISI Foundation“ sowie die Katholische Universität Löwen. Salathé sowie die das deutsche Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit wollen sich nun für eine andere Initiative mit dem Namen DP3T engagieren, die auf einen dezentralen Ansatz bei der Datenspeicherung von Kontaktpersonen setzt.

Schadet eine öffentliche Debatte?

Gemeinsam ist fast allen Kritikern, dass sie eine dezentrale Lösung vorziehen und schwere Datenschutzverletzungen befürchten, sollten die Daten stattdessen auf einem zentralen Server gespeichert werden. Den Unterschied erklärt Salathé so: „Das, was von PEPP-PT veröffentlicht wurde, läuft auf das Argument hinaus, dass man einer zentralen Stelle vertrauen muss. Unser Ansatz aber ist: Und führe uns nicht in Versuchung. Lasst uns von Anfang an ein System bauen, dass es unmöglich macht, Daten zu verknüpfen, weil es das von Grund auf nicht erlaubt.“

Die Kritiker werfen dem PEPP-PT vor allem vor, eine offene Diskussion über die Frage unterdrücken zu wollen, welcher Ansatz sich besser für eine Corona-App eignet. „Bei PEPP-PT hieß es: eine öffentliche Debatte schade der Sache nur“, sagt etwa Salathé gegenüber der F.A.Z. „Ich finde genau diese offene Debatte ist notwendig, denn wir müssen Vertrauen aufbauen. Alles muss vollständig transparent ablaufen. Nun wird von denen vor allem ein zentraler Ansatz verfochten. Da habe ich nichts dagegen. Aber dann müssen die Details offengelegt werden.“

Ninja Marnau, wissenschaftliche Gruppenleiterin am Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit, kritisiert ebenfalls, dass lange nicht klar gewesen sei, wofür die Initiative eigentlich stehe. Die Außendarstellung sei missverständlich gewesen. „PEPP-PT hat keine Entwicklungsplattform für eine App geliefert. Sondern das war immer ein Schirm, unter dem sich verschiedene Teams über verschiedene Konzepte ausgetauscht haben.“ Es habe sich auch nie nur um die eine Plattform gehandelt, die nun für das Robert-Koch-Institut entwickelt werde. „So wurde das aber leider dargestellt, insbesondere von Herrn Boos.“ Hans-Christian Boos vom Unternehmen Arago ist federführend an PEPP-PT beteiligt. In den vergangenen Wochen hat er unzählige Telefonate geführt, um der Öffentlichkeit das Konzept einer Corona-App näherzubringen.

Jedes Land entwickelt eine eigene App

Auch die Unterstützung vieler europäischer Regierungen sei unglücklich gelaufen; erweckte das nach Ansicht von Marnau doch den Eindruck, als sei europaweit vor allem eine App geplant. Doch das Gegenteil sei der Fall: In Deutschland wird eine App federführend vom Heinrich-Hertz-Institut (HHI) entwickelt, die aller Voraussicht nach auf einem zentralen Ansatz basiert, Frankreich und Italien haben sich ebenfalls vorsichtig für einen zentralen Ansatz entschieden, andere europäische Länder dagegen für eine dezentrale Speicherung der Daten.

Marnau sagt, man habe bis zuletzt überhaupt nicht gewusst, wofür die Initiative stehe. „Es gab zwar immer Koordinierungskonferenzen am Telefon, aber wir haben nie konkrete Informationen bekommen, wer wirklich verantwortlich ist. Ist das Herr Boos? Und wer übernimmt die technische Führungsrolle? Das HHI?“ Denn es seien ja auch noch eine Menge anderer Institute an der Arbeit beteiligt gewesen. Zudem sei plötzlich der dezentrale Ansatz von der Website von PEPP-PT verschwunden.

Boos weist Vorwurf von Intransparenz zurück

Hans-Christian Boos gesteht zwar gegenüber der F.A.Z. ein, dass das ein Fehler gewesen sei. „Dass der Link auf DP3T von der Seite genommen worden, ist ungünstig gelaufen und ungünstig kommuniziert worden. Wir haben uns auch bei den betroffenen Personen entschuldigt, sogar öffentlich.“ Er erhebt aber seinerseits Vorwürfe: „Deswegen jetzt so ein Fass aufzumachen, finde ich unverantwortlich. Am Ende muss das Sicherheitsmodell den Regierungen die richtigen Möglichkeiten bieten, Pandemie-Management zu betreiben.“ Es sei „schlimm“, dass da nun „ein Wissenschaftsstreit in der Öffentlichkeit ausgetragen“ werde.

Boos wehrt sich insbesondere gegen den Vorwurf, dass PEPP-PT intransparent sei. Das Gegenteil sei der Fall: Man unterstütze noch immer beide Ansätze, sowohl den dezentralen als auch einen zentralen – es sei dann die Entscheidung der jeweiligen europäischen Regierungen, welchen sie nutzen wollten. Stattdessen hätten nun „einige Leute herumtelefoniert und behauptet, wir seien ein absolut konspiratives Gremium. Sie greifen damit Personen in unfairer in Weise an, die seit fünf Wochen Tag und Nacht an einer Lösung arbeiten.“

Auch gegen den Vorwurf, eine zentrale Speicherung sei datenschutzrechtlich bedenklich, wehrt er sich. „Unser Ziel ist, bestmögliche Epidemiologie bei bestmöglicher Privatsphäre zu gewährleisten. Das ist eine Entscheidung, die können Virologen nicht alleine treffen, sondern nur zusammen mit der Politik.“

Was der ganze Streit für die App des RKI bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Aber so viel lässt sich wohl festhalten: Sie wird sich noch weiter verzögern.

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Quelle: FAZ.NET
Morten Freidel
Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
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