Endet auch die Laufzeit der Vernunft am 31. Dezember?

Für die Bundesregierung wird es immer schwieriger, ihre Energiepolitik als pragmatisch und stimmig darzustellen. Es war kühn, die Verfeuerung von Erdgas in der EU-Taxonomie als nachhaltig durchzusetzen, so nötig sie als Übergangstechnik auch sein mag. Das Europäische Parlament ist dieser Linie nun mit großer Mehrheit gefolgt, wohl aus demselben Grund, aus dem auch die EU-Regierungen zugestimmt haben. Das deutsche Begehren hält sich die Waage mit dem Wunsch Frankreichs, Atomkraft als klimafreundlich einzustufen.
Unter klimapolitischen Gesichtspunkten hat Paris die weit besseren Argumente als Berlin – zum Beispiel, weil es zur Einhaltung europäischer Klimaziele seit Jahren mehr beiträgt als Deutschland. Wenn deutsche Umweltschutzverbände nun dennoch Gas und Atom als gleichermaßen böse darstellen, hat das etwas vom trotzigen Kind, das mit dem Fuß aufstampft.
Beteuerungen der Bundesregierung, sie habe vergeblich für einen Einspruch der EU-Staaten gegen den Taxonomie-Kompromiss gekämpft, stellt das Ergebnis vollends auf den Kopf. Wollte Berlin allen Ernstes durchsetzen, Atomkraft als schädlich, aber Gas als grün zu taxieren?
Eine interessante Äußerung von Scholz
Begründen ließe sich das nur, wenn „grüner“ Wasserstoff in rauen Mengen in greifbarer Nähe wäre. Das ist er aber nicht. Deutschland braucht auf absehbare Zeit eine andere grundlastfähige Reserve für den Fall, dass Wind und Sonne nicht genug oder gar keinen Strom liefern. Nicht erst die Abkopplung vom russischen Gas zeigt somit, dass „nachhaltige“ Taxonomie mehr als nur eine Facette hat.
Der Bundeskanzler hat in der Fragestunde im Bundestag kurz nach der Entscheidung im Europäischen Parlament gesagt, dass die drei Atomkraftwerke, die noch bis Ende des Jahres in Betrieb sind, im Sommer so viel Strom wie möglich produzieren sollten, um die Verstromung von Gas reduzieren zu können.
Der Kanzler hat völlig recht: Das ist im Sinne der Versorgungssicherheit, der Wirtschaftlichkeit und auch des Klimaschutzes. Seltsam aber, dass die Laufzeit dieser Erkenntnis am 31. Dezember in Deutschland auslaufen soll.
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