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Der Entwurf von Abgeordneten der Ampelparteien für die Einführung einer Impfpflicht ab 60 Jahren ist im Bundestag gescheitert. Am Donnerstagmittag stimmten 296 Abgeordnete für den Gesetzentwurf, 378 votierten dagegen, wie Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz (SPD) mitteilte. Neun Abgeordnete enthielten sich demnach. Damit ist das Vorhaben, über das in den vergangenen Tagen heftig gerungen worden war, vorerst gescheitert. Insgesamt stimmten 683 Abgeordnete über den Gesetzentwurf ab.
Zuvor konnte sich die Ampel schon nicht mit ihrem Wunsch durchsetzen, in welcher Reihenfolge über die Anträge zur Impfpflicht abgestimmt werden soll. Sie hätte es vorgezogen, wenn zunächst über den Antrag der Union, ein sogenanntes Impfvorsorgegesetz einzuführen, abgestimmt worden wäre. Die Union bestand jedoch darauf, dass zuerst über der Gesetzentwurf von Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP an der Reihe ist. In der Abstimmung, in der es um die Reihenfolge ging, setzte sie sich dann durch.
Wenig später scheiterten jedoch auch CDU und CSU. Ihr Antrag für ein Impfvorsorgegesetz wurde im Bundestag ebenfalls abgelehnt. Und das deutlich: Von den 678 Abgeordneten, die ihre Stimme abgaben, votierten nur 172 für den Antrag. Dagegen waren 497, es gab wieder neun Enthaltungen.
In der mehr als drei Stunden dauernden Debatte standen sich Befürworter und Gegner der Corona-Impfpflicht unversöhnlich gegenüber. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der für eine Impfpflicht von 60 Jahren an eintrat, warnte vor den Folgen, wenn keine solche Regelung komme. Wenn die Omikron-Variante dominant bleibe, stürben weiterhin zwischen 200 und 300 Personen pro Tag. „Wollen wir das als Gesellschaft akzeptieren?“, fragte Lauterbach. „Das kann keine humane Gesellschaft für uns sein.“ An die Union appellierte Lauterbach, den Kompromiss nicht zu verhindern. Die Impfpflicht von 60 Jahren an stehe für 90 Prozent der vermeidbaren Todesfälle, die mit einer Impfpflicht von 18 Jahren an verhindert werden könnten.
Die Gesundheitspolitikerin der Grünen, Paula Piechotta, warb ebenfalls für die Impfpflicht. Die Gesellschaft sei bereits in den vergangenen zwei Jahren unvorbereitet in den Corona-Herbst gegangen, das dürfe nicht noch einmal passieren, sagte sie. Die Unterschiede zwischen dem Gesetzentwurf der Ampel und dem Antrag der Union seien marginal. „Die Zeit läuft davon“, mahnte Piechotta. Dies sei nicht der Zeitpunkt, der Ampel „etwas mitzugeben“; das ganze Land sei betroffen. „Im Winter behaupten, man habe es nicht kommen sehen, kann dieses Jahr keiner mehr“, sagte die FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr. Auch sie unterstützt den Antrag für die Einführung einer Impfpflicht.
Der CDU-Abgeordnete Tino Sorge sprach am Donnerstagmorgen die unklaren Mehrheitsverhältnisse im Bundestag an. „Wir hätten aus der Mitte des Hauses eine Mehrheit finden müssen“, sagte er und warb gleichsam für das Modell der Union. Man könne bei der Frage, ob eine Impfpflicht kommen müsse, nicht pauschal entscheiden. „Wir haben glücklicherweise sinkende Inzidenzzahlen. Lasst uns eine belastbare Datengrundlage machen“, sagte Sorge mit Blick auf die Forderung, ein bundesweites Impfregister einzuführen. Der Kritik, dass seine Fraktion sich nicht konstruktiv verhalte, widersprach er. Die Union habe einen Kompromiss vorgelegt, dem jeder zustimmen könne.
Klar gegen die Einführung einer Impfpflicht argumentierten die Redner von AfD und FDP, die jeweils eigene Anträgen gestellt haben. AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel nannte eine Corona-Imfpflicht „radikal verfassungsfeindlich“. Es gehe der Regierung um die „Lust an der uneingeschränkten Verfügungsgewalt“. Der Antrag der Partei fiel im Bundestag durch.
Wolfgang Kubicki (FDP) sagte, er könne gut nachvollziehen, dass in der Debatte „die Emotionen hochgehen“. Wichtig sei, bei der Entscheidung nicht auf falsche Begründungen zu setzen. „Herdenimmunität wird durch Impfungen nicht erreicht. Ungeimpfte sind nicht Schuld daran, dass sich andere Menschen infizieren.“ Auch eine Überlastung des Gesundheitssystems werde es voraussichtlich nicht geben. „Impfungen dienen dem Selbstschutz und nicht dem Fremdschutz“, sagte Kubicki. „Es ist nicht die Aufgabe des Staates, Erwachsene gegen ihren Willen zum Selbstschutz zu zwingen.“ Der Antrag gegen die Einführung einer Impfpflicht, den Kubicki maßgeblich vorangetrieben hatte, fiel mit 85 zu 590 Stimmen klar durch.
Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hat eine Bevormundung kritisiert. Wie gut die Impfung gegen künftige Virusmutanten schütze, sei nicht bekannt, sagte sie. „Und trotzdem halten Sie unbeirrt daran fest, den Menschen eine Impfpflicht aufzuzwingen – weil der Kanzler Durchsetzungsfähigkeit demonstrieren muss?“
Der FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann, der ursprünglich einen Antrag für eine Beratungspflicht mit optionaler Impfpflicht ab 50 initiiert hatte, hat sich nach dem Ende der Bundestagsdebatte dafür ausgesprochen, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. „Wir wollen nicht einen dritten Corona-Winter erleben, wo wir dann wieder in Lockdowns sind“, sagte Ullmann im Fernsehsender Phoenix. „Wir müssen etwas machen, es muss nicht auf Teufel komm raus eine Impfpflicht sein, aber zumindest die Beratungspflicht durchzusetzen, das wäre eine sinnvolle Maßnahme und das können auch die Länder heute schon machen."
Der Gesundheitsminister von Rheinland-Pfalz, Clemens Hoch (SPD), sagte in Mainz, das Scheitern der Impfpflicht sei ein fatales Signal. „Wir hätten in Deutschland eine allgemeine Impfpflicht dringend gebraucht, denn wir erwarten spätestens im Herbst eine weitere Welle.“
Vertreter von Krankenhäusern und Sozialverbänden haben das Scheitern der Impfpflicht im Bundestag ebenfalls kritisiert. „Schlussendlich stehen wir jetzt vor einem Scherbenhaufen, den alle Parteien zu verantworten haben“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, der Zeitung „Rheinische Post“. Die Entscheidung habe auch Folgen für die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die Mitte März in Kraft getreten war. „Dass die Gesundheitsämter jetzt noch Arbeitsverbote für ungeimpfte Personen im Gesundheitswesen aussprechen, halte ich für nicht vorstellbar“, sagte Gaß. „Für uns war die allgemeine Impfpflicht immer eine nachfolgende Notwendigkeit, um die einrichtungsbezogene Impfpflicht aufrechtzuerhalten.“
Kritik kam auch vom Sozialverband Deutschland. Adolf Bauer, der Präsident des Verbands, appellierte aber an Parlament und Bundesregierung, die Gespräche über eine allgemeine Impfpflicht weiterzuführen. „Das ist kein guter Tag für die Pandemiebekämpfung. Impfen bleibt ein zentraler Baustein im Kampf gegen die Pandemie“, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger.