Kein Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik

Wer in der Wirtschaftspolitik der künftigen Landesregierung eine Überraschung sucht, eine echte Neuheit, wird sie in der Koalitonsvereinbarung im Kapitel „Kinder und Familien“ suchen müssen. In einem Modellprojekt sollen Eltern von Kindern unter drei Jahren Betreuungsgutscheine erhalten. Das stellt die öffentliche Förderung der Kinderbetreuung auf den Kopf: Bisher erhalten die Einrichtungen direkt Zuschüsse der öffentlichen Hand, künftig sollen die Eltern bestimmen, welches Haus wieviel Geld bekommt. Ganz ohne ist das Vorhaben nicht – in Hamburg hat es bei einem ähnlichen Vorhaben vor einigen Jahren Riesenärger gegeben. Doch richtig umgesetzt, kann es zu mehr Wettbewerb, also zu passgenaueren Angeboten führen.
So innovativ zeigen sich CDU und FDP in der Wirtschaftspolitik sonst nicht. Der Flughafen soll zügig ausgebaut werden. Das Kernkraftwerk Biblis soll bleiben, das Verfahren zur Genehmigung des Kohlekraftwerks Staudinger vorangetrieben werden, zugleich soll bis 2020 der Anteil der regenerativen Energien am Endenergieverbrauch ohne Verkehr auf 20 Prozent steigen. Die vage Formulierung, „wir werden für die kommenden Jahre die Zulassung weiterer Windkraftstandorte an windhöfigen sowie naturschutzrechtlich und landschaftlich geeigneten Standorten prüfen“, lässt ahnen, dass die Verwirklichung des Zieles schwierig bleibt – vor allem im Rhein-Main-Gebiet ist jeder Standort umstritten.
„Antizyklische“ Investitionen
Wie zu erwarten war, nimmt die Bewältigung der Wirtschaftskrise großen Raum ein, wiewohl man die Hoffnung hegen darf, dass sie nicht die gesamte Legislaturperiode prägen wird. CDU und FDP halten am hessischen Konjunkturprogramm von 1,7 Milliarden Euro fest, wollen es allerdings nicht nur auf Schulen und Hochschulen beschränken, wie zunächst geplant, sondern auf die Förderung des Straßen-, Krankenhaus- und Sportstättenbaus erweitern. Nur auf den ersten Blick beißt sich dieses schuldenfinanzierte Programm mit der Ankündigung, die Neuverschuldung zu senken – „antizyklische“ Investitionen genehmigt sich die Koalition ausdrücklich.
Wird alles Wirklichkeit, worauf sich die beiden Parteien verständigt haben, so könnte der Finanzplatz Frankfurt sogar von der Krise profitieren. So soll die Landesbank Hessen-Thüringen, die bisher besser durch die Krise gekommen ist als andere Institute dieser Art, bei der Neuordnung der Landesbankenlandschaft eine führende Rolle einnehmen, ihr Eigenkapital dazu gestärkt werden. Ministerpräsident Roland Koch (CDU) fügte gestern allerdings sogleich hinzu, eine Stützung der Bank sei nicht notwendig.
Ein Kapitel für Nordhessen
Bekräftigt wird in der Koalitionsvereinbarung auch die seit Jahren von Hessen erhobene Forderung nach einer Konzentration der auf Frankfurt und Bonn verteilten Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht am Main, für die vielleicht im Zuge der absehbaren Reform der Bankenaufsicht derzeit eine etwas größere Chance besteht als bisher.
Die verbreitete Unzufriedenheit mit der Struktur der hessischen Wirtschaftsförderung ist nur zum Teil in der Koalitionsvereinbarung aufgegriffen worden. Zwar sollen die Investitionsbank Hessen und die LTH-Bank für Infrastruktur, die zum Helaba-Konzern zählt, verschmolzen werden – ihre Arbeitsfelder liegen nahe beieinander. Doch die Hessen-Agentur muss sich lediglich eine Überprüfung ihres weitläufigen Aufgabenkreises gefallen lassen. Das Ziel sei eine klare Trennung von anderen Einrichtungen, heißt es. In den vergangenen Jahren hatte es immer wieder Überschneidungen vor allem mit dem Standortmarketing des Rhein-Main-Gebiets gegeben.
Der Ballungsraum Frankfurt kommt in der Koalitionsvereinbarung allerdings sowieso eher am Rande vor; während Nordhessen ein eigenes Kapital gewidmet ist, heißt es über Südhessen bloß zum einen, das Ballungsraumgesetz solle evaluiert werden, zum anderen, dass die Pläne für eine Internationale Bauausstellung vorangetrieben werden sollten, auch unter finanzieller Beteiligung des Landes.
Vage Formulierungen
CDU und FDP bekennen sich zur sozialen Marktwirtschaft. Der Bürokratieabbau soll fortgesetzt, der Wettbewerb im Energiesektor gestärkt werden. Man wolle „Maßnahmen initiieren, die geeignet sind, die vorhandenen Strukturen aufzubrechen“, heißt es. Die vage Formulierung überdeckt einstweilen wohl die Frage, wie mit dem Vorhaben des scheidenden Wirtschaftsministers Alois Rhiel (CDU) umgegangen wird, über eine Bundesratsinitiative eine Novellierung des Kartellrechts zu erreichen, die als letztes Mittel den Zwangsverkauf von Kraftwerken vorsieht, um mehr Wettbewerb zu erreichen. Die FDP lehnt dieses Vorhaben ab. Von der Privatisierung einzelner Landesunternehmen ist nicht die Rede. Es heißt nur, im Zuge der Entwicklung einer „Beteiligungsstrategie“ solle jede Landesbeteiligung daraufhin überprüft werden, ob sie sinnvoll sei.
Von der Arbeitsgemeinschaft der hessischen Industrie- und Handelskammern kamen zustimmende Äußerungen, namentlich zur Ankündigung der Reform der Tourismuswerbung. Auch die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände und der Bauernverband zeigten sich zufrieden. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sieht hingegen ihre Befürchtungen, es werde zu einem massiven Stellenabbau in der Landesverwaltung kommen, bestätigt. Es findet sich allerdings in der Koalitionsvereinbarung über Stellenabbau kein Passus. Es heißt lediglich, und darauf verweist Verdi auch, trotz zusätzlichen Personals in den Schulen und bei der Polizei dürfe die Zahl der Stellen im Landesdienst insgesamt nicht steigen, was zwangsläufig auf Streichungen bei anderen Aufgabenfeldern hinausläuft. Wer nicht beim Land beschäftig ist und sich in die Details der hessischen Wirtschaftspolitik nicht einfinden mag, wird sich immerhin über diesen einen Satz der Koalitionäre freuen: „Wir werden keine neuen Steuern und Abgaben einführen.“