Dilettantismus
Genialität durch Dilettantismus: Das gibt es wirklich, wie wohl die meisten Menschen aus dem Berufs- und Alltagsleben bestätigen können. Nur wenigen gelingt es aber, dieses Motto, in dem ja durchaus Anerkennung mitschwingt, zum Lebensprinzip zu erheben und damit auch noch erfolgreich zu sein. Auf dem Gebiet der klassischen Musik gilt Modest Mussorgski als bestes Beispiel dafür. Man schlägt nur sein berühmtestes Werk, den Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“, auf und staunt gleich über den Beginn, wenn man auch nur eine einfache Grundausbildung im Tonsatz absolviert hat. Grobschlächtig wirken die Akkorde dahingeworfen, meist fett und vielstimmig, während dann unvermittelt wieder nur zwei Stimmen erklingen.
So entstehen klanglich Löcher, die es nach der reinen Lehre zu vermeiden gilt. Auch orthographisch fällt manches auf. Es ist ein bisschen so, als würde man ein Buch aufschlagen und sofort Rechtschreibfehler erkennen. Das Merkwürdige ist: Das als „Promenade“ betitelte Stück zieht den Hörer in all seiner Urwüchsigkeit in den Bann. Bei Mussorgskis Oper „Boris Godunow“ sahen sich Komponistenkollegen wie Nikolai Rimski-Korsakow und andere Musiker sogar gemüßigt, Verbesserungen an der Orchestration vorzunehmen. Wenn man aber einmal die Urfassung hört, verblüffen die Wirkungen.
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