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Im Frühjahr 2020 werden die Schauspielhäuser geschlossen, in großen Gruppen darf man sich nicht mehr treffen. Einen letzten Auftritt hat die Wiesbadener Theatergruppe „Für Garderobe keine Haftung“ noch, dann ist auch für sie Schluss. Zum ersten Mal seit ihrer Gründung im Jahr 2000 dürfen die neun Schauspieler nicht auf die Bühne. „Es hat sich wie ein Abschied angefühlt“, erinnert sich Ensemblemitglied Marc Auel.
Die Gruppe macht Improvisationstheater. Ihre Stücke leben von spontanen Eingaben aus dem Publikum. Digitalen Ersatz gibt es damals noch nicht. Doch Auel und sein Kollege Frederik Malsy werden in ihrer Zwangspause erfinderisch. Während der Kulturbetrieb unter den Pandemiefolgen leidet, gründen sie im Sommer 2020 das „Online Krimi Spiel“ – ein Start-up, mit dem man vom heimischen Sofa aus online auf Verbrecherjagd gehen kann. Für ihre Idee ist den Unternehmern am Dienstag in Berlin der German Innovation Award verliehen worden. Der vom Bundestag 1953 initiierte Rat für Formgebung zeichnet mit dem Preis Produkte aus, die bisherige Konzepte weiterdenken und einen Mehrwert für die Nutzer schaffen.
Die für das Improvisationstheater typische Interaktion mit den Zuschauern haben die Schauspieler in den digitalen Raum verlegt. Über das Videokonferenzsystem Zoom schalten sich die Teilnehmer zur selben Zeit zusammen – und werden zu Ermittlern. Ein Spielleiter gibt erste Hinweise zum Kriminalfall, den es zu lösen gilt. In Gruppen ermitteln die Teilnehmer in separaten Zoom-Räumen. Sie sammeln Beweise, diskutieren Hinweise und führen Befragungen durch.
Die Schauspieler des Ensembles schlüpfen in die Rollen der Zeugen und Täter. Dabei arbeiten sie wie so viele derzeit remote. „Wir sind Schauspieler im Homeoffice“, sagt Auel. Auf einen authentischen Hintergrund achtet das Ensemble jedoch auch ohne Bühne. Einen Winzer wollten sie eigentlich in einem Weinberg spielen lassen. Im kalten November und mit wackligem Netz auf dem Land ließ sich diese Idee jedoch nicht umsetzen. Für die Rolle begeben sich die Schauspieler nun in den Keller. Im Spiel wird daraus das Weinlager.
Fehlt ihnen nicht auch etwas, wenn das Publikum in fernen Wohnzimmern sitzt anstatt im Zuschauerraum? „Der Kontakt ist unglaublich direkt. Das ist uns als Impro-Schauspielern gar nicht so fremd“, sagt Auel.
Wer in den Kriminalfällen wer ist, müssen die Teilnehmer herausfinden: Welches dunkle Geheimnis lauert hinter der heilen Fassade der Schlagerwelt? Wer hat die schöne Weinkönigin aus Rheinhessen entführt? Und ist es purer Zufall, dass der Familienpatriarch frühzeitig das Zeitliche gesegnet hat? Vier Geschichten haben Auel und Malsy mit einem Team von vier Fallentwicklern schon in ein digitales Mitmachspiel umgewandelt. Mit dem Kosmos Verlag konzipierten sie zuletzt einen Fall aus der Reihe „Die drei ???“.
Ihre Spiele haben in den Lockdowns einen Nerv getroffen. Besonders bei Unternehmen, die ihre Mitarbeiter in der Pandemie zusammenbringen wollten, kam das Konzept gut an. 500 Unternehmensfeiern haben die Schauspieler schon mit ihrem Onlinekrimispiel gestemmt. An der größten nahmen 220 Menschen teil. In der Weihnachtszeit inszenierten sie an manchen Tagen zwölf Spiele. Etwa 25.000 Hobbyermittler haben an den öffentlichen Spielen teilgenommen. 1000 Spiele im Jahr wolle das Start-up zukünftig einmal ausrichten, sagt Auel.
Für ihn ist das Onlinekrimispiel das erste Unternehmen, das er gegründet hat. Wie in vielen Betrieben sorgt die Pandemie für außergewöhnliche Umstände. „Unsere erste Mitarbeiterin habe ich erst nach sieben Monaten persönlich getroffen“, sagt Auel. Für die Einarbeitung neuer Schauspieler entwickelten die Unternehmer eine digitale Plattform. Über diese können die Mitarbeiter Informationen zu ihren Rollen abrufen und sich eigenständig einlesen.
In der Pandemie hatten es Kulturschaffende nicht leicht. Als die Theater schließen mussten, wurden viele Engagements beendet. Das Start-up bot Schauspielern eine Möglichkeit, auch ohne Bühne wieder aufzutreten. In dieser Zeit seien viele Künstler ins Grübeln gekommen, wie relevant die Kultur für die Gesellschaft sei, sagt Auel: „Für viele war es wichtig, wieder einen Sinn zu haben.“ Mittlerweile arbeiten 60 Schauspieler für das Onlinekrimispiel, verteilt über ganz Deutschland.
Auch wenn die Theater wieder unbegrenzt öffnen dürfen, wollen Auel und Malsy ihre digitalen Krimispiele fortführen. Gleichzeitig denken sie an die bevorstehenden warmen Monate und passen ihr Konzept den neuen Bedingungen noch einmal an. „Die Menschen wollen wieder raus und gesellig sein“, sagt Auel. Ihre Fälle werden sie daher künftig auch in Präsenz anbieten.
Dabei haben sie Lehren aus dem Erfolg ihres digitalen Spiels gezogen: Die Teilnehmer können am inszenierten Tatort in verschiedenen Räumen ermitteln und mit Zeugen und Tätern sprechen – nun jedoch ohne Bildschirm dazwischen.