Hommage an Jean Paul Gaultier
Was haben fünf Meter Satinstoff mit Jean Paul Gaultier, dem Enfant terrible der französischen Haute Couture, gemein? Auf den ersten Blick nichts, doch 38 angehende Maßschneider ließen sich von dem Designer inspirieren und schufen aus dem schwierig zu nähenden Show-Stoff aufsehenerregende Kreationen. Beim Nachwuchspreis der Maßschneider-Innung Rhein-Main wird die Stoffmenge und die Auswahl der Farben begrenzt, die Kreativität muss die Limitierung sprengen.
Die große Gala für die Entwürfe des Nachwuchses sei „deutschlandweit ein wohl einmaliges Event in dieser Größe“, hob Heike Rahusen-Marsch, Obermeisterin der Innung, hervor. In den vergangenen zwei Jahren hatte man wegen der Pandemie auf die Laufstegpräsentation verzichten müssen, die Innung hatte das Event jedoch mit einem Spendenaufruf retten und ins Internet übertragen können.
Herrlich unbekümmerte Laien-Models
Im 26. Jahr des Wettbewerbs sollte nun Gaultier den Auszubildenden als Leuchtfeuer dienen. Seine bekannten Designelemente, wie die spitzen Brustkegel am engen Korsett, die die Sängerin Madonna als Bühnenoutfit trug, blau-weiße Ringel und maritime Motive, Strahlenkränze wie ein Heiligenschein auf dem Kopf, Anklänge an Gemälde von Frida Kahlo, waren als Referenz erkennbar.
Der französische Designer war auch einer der ersten, der neben den gleichförmig überschlanken Models auch ältere, dickere, tätowierte und androgyne Menschen auf den Laufsteg schickte, die meist fröhlich das Leben in Vielfalt feierten. Die Modenschau im Saalbau Bornheim erfüllte diesen Anspruch mit herrlich unbekümmerten Laien-Models, die mit einer realistischen Bandbreite an Kleidergrößen den Laufsteg betraten. Augenzwinkernd flirtend mit dem Publikum, in aristokratischer Pose schreitend oder selbstbewusst mit so viel Body Positivity, dass die Freude am eigenen Körper in außergewöhnlichen Kreationen spürbar wurde.
Janina Turek, Auszubildende im dritten Lehrjahr bei 7th Heaven Brautmoden Judith Bauer in Wiesbaden, führte ihren eigenen Entwurf sprühend vor Energie selbst auf dem Catwalk vor: eine Hose, bei der ein Bein schwarzen Satins in Plissee verwandelt wurde, das andere längs gestreift in rosé-schwarzen Schlangenlinien. Lose Stoffstreifen in beiden Farben verbanden am Rücken das Kleidungsstück mit einem Haarreif. Die Ärmel mit kleinen Rüschen verziert, der Oberkörper in durchsichtigem Mesh, nur von einem Gitter verhüllt. Dafür bekam sie den dritten Preis.
Originalität, Qualität und Gesamteindruck zählen
Die Zweitplatzierte, Catharina Schilt, schickte den wohl spektakulärsten Entwurf auf die Bühne: Passend zum Korsett in Rot und Gold mit ausladenden Hüften trug das Model einen sternförmigen Kragen, unter dem vom Rücken ausgehend zahlreiche Stäbe mit flatternden Farbbändern die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Make-up, Schuhe, Frisur, alles passte bei der Auszubildenden im dritten Lehrjahr bei Eva Seitz Modedesign in Mainz zusammen und brachte deshalb eine hohe Punktzahl ein, denn neben der Originalität, der handwerklichen Qualität zählte auch der Gesamteindruck für die Bewertung der Fachjury.
Der erste Preis ging an Nathalie Domanski, im zweiten Lehrjahr an der Max-Eyth-Schule in Alsfeld, die ein wiederkehrendes Thema Gaultiers, das Innere des Körpers außen sichtbar zu machen, auf den Stoff ihrer Kreation gemalt und kunstvoll mit Perlen bestickt hatte. Und damit bewies, dass Rippenbögen, die Wirbelsäule und das Herz, auf einem elaboriert verzierten kurzen Kleid mit Schleppe in blau-rot-weißen Tönen, dekorativ aussehen können.
Für Glamour sorgte ein Entwurf von Ida Mercker, die bei Elise Topell Couture in Wiesbaden im ersten Lehrjahr ist. Ihr langes roséfarbenes Kleid mit eleganten Rock-Drapierungen und einem engen Korsett führte sie selbst auf den Catwalk, perfekt ergänzt mit einem Ascot-würdigen Fascinator. Sie freute sich nicht nur über den sechsten Platz, sondern auch über das praktische Ergebnis: „Wann hat man schon mal einen Anlass, sich so ein Kleid zu nähen?“
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