Wo ist der „Domminator“ geblieben?

Es war einmal ein Champion: selbstbewusst, stark, mit wahnsinnig wuchtiger Vorhand. Einer, der anderen das Fürchten lehrte und es mit den Besten der Tennisgeschichte aufnehmen konnte: mit Rafael Nadal auf dessen geliebten Sand, mit Novak Djokovic auf seinem Territorium, dem Hartplatz.
2020 krönte er sich selbst zum US-Open-Sieger, in einem dramatischen Fünfsatzkrimi gegen den Hamburger Alexander Zverev. Dieser Tage jedoch tritt Dominic Thiem nicht wie ein Champion auf, sondern ist ein Tennisprofi von trauriger Gestalt. Er will Siege auf dem Platz. Was er bekommt, ist Mitgefühl. Auch in Paris, wo der Österreicher zu seinen besten Zeiten zweimal im Endspiel stand und zweimal im Halbfinale. Schlimm.
Schnelles Aus
Die diesjährige Auflage von Roland Garros ging, wie schon die vorjährige, für Thiem schnell vorbei: nach zwei Stunden, einer Minute und drei Sätzen. 3:6, 2:6, 4:6 verlor er sein Auftaktmatch gegen Hugo Dellien. Früher hätte er den Bolivianer mächtig unter Druck gesetzt, mit großartig überrissenen Schlägen, die den Ball im Feld des Gegners hoch abspringen lassen, mit seiner einhändig geschlagenen Rückhand. Inzwischen kämpft der 28-Jährige nach einer heftigen Handgelenksverletzung und zehn Monaten Pause darum, wieder Anschluss zu gewinnen zu denen da oben.
Als Thiem nach der Niederlage gefragt wurde, woran es gelegen habe, dass er auch sein siebtes Match nach dem Comeback im März verlor, begann er eine lange Aufzählung. Der Vorhand fehle Power, der Rückhand die Länge, seine Aufschläge täten keinem Gegner weh, er treffe während Ballwechsel „dumme Entscheidungen“, und weil ihn alles seit Wochen nervös mache, werde der Körper steif. „Es ist bitter, hier zu sitzen und nach Niederlagen immer die selben Sätze runterzuleiern“, beendete Dominic Thiem die Mängelliste seiner selbst. Es gebe nur einen Schlüssel für den Ausgang aus der Krise: „Geduldig sein.“ Eine Herkulesaufgabe.
Die Tenniswelt berauscht sich alle Jahre wieder an den großen Comebacks. Von Roger Federer, der 2017 vom Patienten wieder zum Grand-Slam-Sieger wurde. Von Nadal, der seine Fußbeschwerden immer wieder überwindet und zuletzt nach vorheriger Pause die Australian Open gewann. Auch Djokovic überspielte seine raren Rückschläge oft mit Erfolg. Thiem, vor 14 Monaten noch Weltranglistendritter, steht für das Gegenteil.
Schon als Tenniskind hat er nach Zwangspausen länger als andere gebraucht, um das vorherige Niveau zu erreichen. Eigentlich, so Thiems Zusammenfassung nach einer weiteren traurigen Dienstreise, „ist mir in Roland Garros nichts Unerwartetes passiert“. Der „Domminator“, wie er in Anlehnung an seinen Kosenamen einst genannt wurde, spielt im Moment eher wie ein Thiemchen.
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