Kommt die Leistungsexplosion bei Lammers noch?

Viel Zeit bleibt Sam Lammers nicht mehr, seinen Leistungsnachweis in Frankfurt zu erbringen. Auf dem Fußballplatz die Kurve zu bekommen. Der Vertrag des Leihspielers von Atalanta Bergamo endet in wenigen Monaten am 1. Juli. Eine Kaufoption für den 24 Jahre alten Mittelstürmer hatte die Eintracht mit den Italienern Ende August des vergangenen Jahres nicht vereinbart.
Nach jetzigem Stand würden die Frankfurter, die an diesem Sonntag (15.30 Uhr im F.A.Z. Liveticker zur Bundesliga und bei DAZN) in Augsburg antreten, diese auch nicht in Anspruch nehmen. Denn der Last-Minute-Transfer Lammers scheint trotz hoher Erwartungen auf beiden Seiten zum großen Missverständnis für alle Parteien zu werden. Nur zwei Treffer stehen für den 1,91 Meter langen Schlaks aus den Niederlanden in seinen 14 Pflichtspielen (neun in der Bundesliga, fünf in der Europa League) zu Buche.
Sein bisher letztes Tor gelang ihm am 19. September beim 1:1 gegen Wolfsburg. Seitdem vergingen 18 Pflichtspiele ohne einen Treffer des Torjägers im Abseits. Vom elften Spieltag an Anfang November pendelte Lammers bis zum Hinrundenende überwiegend zwischen der Bank und der Tribüne. In der erfolgreichsten Phase der Eintracht mit sechs Siegen aus sieben Spielen stand er lediglich einmal auf dem Platz – für drei Minuten beim 5:2 über Leverkusen.
Zaghaft und teilnahmslos
Im neuen Jahr wollte der hinter den Ansprüchen zurückgebliebene Offensivspieler einen neuen Angriff starten. Sein Trainer Oliver Glasner machte ihm Hoffnung und sagte, dass Lammers bestimmt noch wichtige Tore erzielen werde. Doch zum Auftakt in die Rückrunde im Heimspiel gegen Dortmund (2:3) bekamen die 250 Zuschauer den alten, labilen Lammers zu sehen. Nach 66 Minuten beim Stand von 2:0 eingewechselt, lief das Spiel weitgehend an ihm vorbei. Lammers hatte nur sieben, acht Ballkontakte bis zum Abpfiff.
Der Stürmer wirkte zaghaft und manchmal sogar teilnahmslos. Vor dem 2:2 verlor er ein Kopfballduell und setzte zu allem Überfluss nicht entschlossen genug nach. Ohne Bindung zum Spiel bewegte sich Lammers wie ein Fremdkörper auf dem Platz. Er behauptete und verarbeitete kaum Bälle.
Als der gebürtige Tilburger einem Pass von Filip Kostic nicht entgegenlief und der Ball verloren ging, ärgerte sich Kostic sichtbar über seinen handlungslahmen Teamkollegen. Zum Frankfurter Auftreten, das auf Pressing und schnelle Kombinationen ausgerichtet ist, scheint Lammers nicht zu passen. Für dieses Spiel fehlen ihm die nötigen physischen Voraussetzungen sowie das nötige Stellungsspiel, deshalb sind ihm oft eine gewisse Überforderung und Unsicherheit anzusehen.

„Geradeaus und provokant gefragt: Hat Sam Lammers den Sieg gekostet?“ – mit diesen Worten wandte sich ein Reporter nach dem Misserfolg gegen Dortmund an Glasner. Der Trainer antwortete ihm genauso direkt: „Ganz provokant geantwortet: nein.“ Natürlich hatte Glasner recht. Es wäre ein Unding, die Niederlage hauptsächlich an Lammers festzumachen. Vielmehr gab es noch andere Gründe, warum die Eintracht ihren vermeintlich komfortablen Vorsprung aus der Hand gegeben hat: zum Beispiel ihre plötzlich an den Tag gelegte Passivität. Statt weiter nach vorn zu spielen, legte das Team auf dem Platz lieber den Rückwärtsgang ein.
Das machte es auch den Angreifern schwer, Akzente zu setzen. Trotzdem geriet Lammers in den sozialen Medien als Sündenbock in den Mittelpunkt der Kritik. Über ihn fegte ein Shitstorm hinweg mit unflätigen Kommentaren, in denen der Spieler aufs Schlimmste angegriffen wurde. Dementsprechend groß waren das Unverständnis und der Ärger der Eintracht-Verantwortlichen, die sich schützend vor Lammers stellten.
„Sportliche Kritik, ja. Aber Kritik, die unter die Gürtellinie geht, nein“ – das war der Tenor aus der Führungsetage. Glasner sagte außerdem, dass es „nie an einem Einzelnen“ liegen würde. Er hatte Lammers ins Spiel gebracht, weil sich der Stürmer im Training „sehr gut“ präsentiert habe. „Sam war sehr agil und hat viele Tore erzielt“, berichtete der Fußballlehrer. Im Duell mit dem BVB war dann ein anderer Sam Lammers zu sehen.
Lammers und die Last der Ansprüche
Dass der Niederländer dem Portugiesen André Silva (heute RB Leipzig), der in der Vorsaison in 32 Bundesliga-Spielen 28-mal für die Eintracht traf und zudem mit acht Torvorlagen überzeugte, nacheifert, erwartete bei der Eintracht keiner. Zu hoch ist die Messlatte im Vergleich mit dem damaligen Überflieger im Angriff. Gleichwohl trauten die Hessen ihrem „Topkandidaten“ Lammers deutlich mehr zu. „Mit seiner körperlichen Präsenz im und um den Strafraum, seinen technischen Fähigkeiten und seinem Spielverständnis wird er uns schnell weiterhelfen können“, hatte Sportvorstand Markus Krösche bei der Verpflichtung des ehemaligen U-21-Nationalspielers gesagt.
Doch dessen Durchbruch in der Sturmreihe lässt bis heute auf sich warten. Wie es aussieht, reicht das Können von Lammers bei Weitem nicht an die großen Fähigkeiten der früheren Eintracht-Größen im Angriff – Sebastien Haller, Luka Jovic und Ante Rebic – heran. Stattdessen schleppt Lammers die große Last mit sich herum, den hohen Ansprüchen bisher nicht genügt zu haben. Seine Teamkameraden Jesper Lindström und Rafael Borré hatten ebenfalls einen schweren Start in Frankfurt.

Beide sind jedoch nach Anpassungsproblemen ihren Weg gegangen und haben sich mit ihren gewonnenen Stärken zu wichtigen Spielern im Gefüge entwickelt. Der Kolumbianer Borré untermauerte mit vier Toren und drei Torvorlagen in den vergangenen fünf Begegnungen seinen Formanstieg. Beim Dänen Lindström sind es vier Treffer, über die er sich in den zurückliegenden sieben Partien freute, nicht zu vergessen seine zwei Assists. Beide hatten ihren Anteil daran, dass die Eintracht in acht der vergangenen zehn Pflichtspiele in der Bundesliga und in der Europa League immer mindestens zu zwei Treffern kamen.
Lammers Leistungsexplosion hingegen ist bis heute ausgeblieben. Ein vorzeitiges Ende des Ausleihgeschäfts ist dennoch unwahrscheinlich. Bergamo dürfte keine Verwendung für den Angreifer haben. Ein weiterer Wechsel innerhalb der europäischen Topligen zu einem neuen Verein ist für Lammers nicht möglich, weil er in dieser Spielzeit bereits für zwei Klubs in Pflichtspielen im Einsatz war. Er hat nur eine Chance: Lammers muss bei der Eintracht beweisen, dass er es viel besser kann.