Schon vor dem letzten Spiel beginnt die Heimreise

Die Frage, ob Spieler, die aus einer Corona-bedingten Pause zurückkommen, eine Hilfe sein können, ist eines der am besten gehüteten Geheimnisse dieser Handball-Europameisterschaft. Da wird gerechnet, spekuliert, gebangt und gehofft. Tatsächlich hatte es Hendrik Wagner, 22, nach seiner Quarantäne in den Kader des Deutschen Handballbundes (DHB) für das Abendspiel am Sonntag gegen Schweden geschafft – es war die letzte Chance der Deutschen, unerwartet doch noch das Halbfinale am Freitag in Budapest zu erreichen. Wagner kommt aus der zweiten Liga von den Eulen Ludwigshafen. Das sagt ja schon einiges über die aktuelle Verfassung der Nationalmannschaft.
Von der 18. Minute an kam dann dieser Wagner ins Spiel; die deutschen Fans unter den 2000 Zuschauern in der Ondrej-Nepela-Arena jubelten, Sekunden später traf er sogar zum 6:7. Ein paar Aktionen danach wandte sich Wagner an Bundestrainer Alfred Gislason. Der erklärte: „Hendrik hat mir gesagt, dass er nach drei Angriffen keine Luft mehr bekommen hat. Ich habe ihn auch beim Aufwärmen gefragt. Da war noch alles okay. Aber später konnte ich nicht verantworten, ihn länger spielen zu lassen, er war ja ein paar Tage krank.“
Nicht nur die Luft fehlte den Deutschen bei dieser schmerzhaften 21:25-Niederlage gegen Schweden. Spielglück, Cleverness, Übersicht, Torwartleistung: Zwar stemmte sich die DHB-Auswahl gegen die dritte EM-Niederlage hintereinander, war in der 51. Minute nach Lukas Stutzkes Tor zum 18:19 auch voll im Spiel, und die Skandinavier waren in dieser fahrigen Schlacht nur unwesentlich besser. Aber mit der ernüchternden Quote von 45 Prozent Angriffseffektivität war einfach nichts zu holen. Lobend muss man erwähnen, dass die Moral bei allen Rückschlägen bis zur letzten Sekunden stimmte und der DHB mit Johannes Golla und Patrick Wiencek einen starken Innenblock stellten.
Gislason resümierte: „Ich bin stolz. Wir haben alles versucht. Wir hatten eine fantastische Abwehr. Aber ich habe mich extrem geärgert, weil wir den Ball nach einer Minute Kampf in der Abwehr gewonnen haben und dann vier lange Pässe in die Hände der Schweden spielen. Das darf auf diesem Niveau einmal pro Spiel passieren, nicht viermal. Das geht gar nicht. Wenn dir die langen Pässe gelingen, hast du vier Tore. Wir hatten vier Gegentore.“
Mehrfach warfen die deutschen Profis die Chance auf Ausgleich oder Führung Mitte der zweiten Halbzeit weg. Zur tragischen Figur wurde dabei Julian Köster, 21 Jahre alt, vom Zweitligaklub VfL Gummersbach. Fast die ganze Last des deutschen Angriffs lag auf seinen Schultern – vier Tore aus fünf Versuchen steuerte er mutig und frisch gegen die schwedische Betonabwehr bei. Doch leistete er sich mindestens ebenso viele Fehler. Trotzdem zählt er zu den Lichtblicken dieser EM. Später sagte Köster: „Wir liefern einen überragenden Kampf und am Ende scheitert es an Kleinigkeiten. Mir macht es aber unfassbar viel Spaß hier. Jedes Spiel ist ein Erlebnis.“
Unterhaltsam und spannend verlief das Spiel gegen die Skandinavier allemal. Die Deutschen lagen 2:5 zurück, ihr Spielmacher Philipp Weber hatte einen rabenschwarzen Tag erwischt, zog sich in der 22. Minute kopfschüttelnd die Trainingsjacke an und stapfte zur Bank. Gislason machte Paul Drux zum Regisseur – das sah besser aus, Drux warf auch drei Tore. Aber die leichten Fehler raubten an diesem Abend nicht nur Gislason den letzten Nerv.
Für die Deutschen endet diese Turnier voller Irrungen, Wirrungen am Dienstag im weitgehend bedeutungslosen letzten Hauptrundenspiel gegen Russland (18.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Handball-EM und im ZDF). Noch einmal aufraffen dürfte die Devise Gislasons und seiner Akteure sein, von denen die ersten abgereist sind – Lukas Mertens und Luca Witzke haben Bratislava verlassen. In einem „medizinischen Transport mit Fachpersonal und entsprechender Ausstattung“, wie der DHB mitteilte.
Auch Christoph Steinert und Sebastian Firnhaber sollen schon auf dem Heimweg sein (wofür es vom DHB am Sonntagabend zunächst keine Bestätigung gab); bei ihnen hatte es einen positiven Test am Samstag gegeben – besonders bitter für den Erlanger Firnhaber, der nachnominiert worden war, in Bratislava aber keine Sekunde spielte.