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Heiligabend hat sich der Sohn mal wieder eine Anspielung geleistet. Weil der Weihnachtsmann mit dem Saab komme, wisse man ja nie, ob er es bis zur Haustür schaffe. Dabei wissen selbst die Enkelinnen rund um den Tannenbaum: Vergangenes Jahr hat er es gepackt, und der Opa lässt nichts auf sein Auto kommen. Und seitdem er erzählt hat, dass es aus Trollhättan stammt, also dem Hügel der Trolle, dieser Kobolde in Riesen- oder Zwergengestalt, finden sie das betagte Fahrzeug „cool“. Der jüngeren Generation muss man erst mal klarmachen, warum dieser Wagen mal Kultpotential hatte. Als Filmstar etwa mit Woody Allen oder Jack Nicholson am Steuer. Bevorzugt auch in Vorabendserien und ganz aktuell in „Drive My Car“. In dem Spielfilm des japanischen Regisseurs Ryusuke Hamaguchi sind die Hauptdarsteller in einem roten Saab 900 Turbo unterwegs, der Filmkritiker nennt ihn ein „Liebhaberauto, das beinahe so etwas wie das Medium des Films ist“.
2014 sind in Trollhättan nach Sommern und Wintern des Stillstands der Laufbänder noch 264 Saabs als solitäre Nachzügler zusammengeschraubt worden. Das Jahr markiert das Ende einer markanten Marke, die dafür stand, sichere und langlebige, äußerlich unverwechselbare Autos zu bauen. In einer Form, die an Faustkeile erinnerte und eine Klientel anzog, von der es hieß, dass sie sich vorwiegend aus Architekten, Ärzten, Rechtsanwälten und ja, auch Journalisten zusammensetzte. Die These konnte nie empirisch belegt werden. Vielleicht war sie hilfreich für das Marketing, aber der Saab ist selbst in seinen besten Zeiten ein Nischenprodukt geblieben und letztlich ein Opfer seiner geringen Stückzahl (zwischen 100.000 und 150.000 jährlich) auf dem Weltmarkt geworden.
Seine Historie ist die eines ambitionierten Außenseiters inmitten eines Haifischbeckens von traditionellen Autokonzernen. Es ist die Geschichte des schwedischen Rüstungskonzerns Svenska Aeroplan Aktiebolaget, der nach dem Zweiten Weltkrieg den Plan umsetzte, in Friedenszeiten neben dem Bau von Flugzeugen in der Autobranche Fuß zu fassen. 1947 zeichneten und realisierten ein paar automobilaffine Enthusiasten einen laubfroschgrün lackierten Zweitakter mit DKW-Motor. Die Fachwelt würdigte einen Nonkonformisten auf Rädern. Der Legende nach kam der Wagen nur deshalb so daher, weil die Tarnfarbe aus Kriegszeiten übrig geblieben und preisgünstig zu haben war. Ein schmales Budget sollte der Wegbegleiter aller Klimmzüge in der dann letztlich zeitlich doch überschaubaren Firmengeschichte bleiben. Zugleich machte es aber erfinderisch, aus begrenzten Ressourcen das Bestmögliche an kühnen Innovationen zu realisieren.
Bei der Namensgebung ihrer Modelle blieben die Skandinavier über Jahrzehnte so stocknüchtern, als handele es sich um Exemplare aus dem Versuchslabor: Saab 92, Saab 96, Saab 99, Saab 9000, Saab 900, Saab 9-3, Saab 9-5. Mit Vorderradantrieb aus Prinzip. Der Saab war ein kerniger, solider Typ und seiner Zeit voraus. Schon der Nachfolger des Ur-Saabs verfügte über einen serienmäßigen Seitenaufprallschutz, bereits 1958 wurde der Sicherheitsgurt eingeführt, der von 1962 an serienmäßig in allen Saab-Modellen zu finden ist. Ende der Sechzigerjahre verlegte Saab das Zündschloss zwischen die beiden Vordersitze. Die Begründung: weil es in der herkömmlichen Position bereits bei kleineren Unfällen (etwa mit Elchen, die die Vorfahrtsregel missachten) zu schweren Knieverletzungen kommen kann. Der Werbeslogan (je schlechter das Wetter, desto besser der Saab) bezog sich 1970 auf die Scheinwerferwischanlage.
Im Jahr darauf sorgen die über die Maßen solide anmutenden „selbstreparierenden“ energieabsondernden Stoßstangen dafür, dass Kollisionen mit bis zu acht Kilometern in der Stunde folgenlos bleiben. Nebeneffekt, erlebt nach dem Picknick auf dem Rastplatz: Der auf der Stoßstange abgestellte Kaffeebecher bleibt selbst nach Autobahnfahrt zwischen Hannover und Hamburg an Ort und Stelle. Aber es wurde unverhältnismäßig oft gehupt und mit Gesten signalisiert, dass da wohl etwas nicht stimme im Heck. Die Saab-Gemeinde schätzte die Besonderheit, den Zündschlüssel nur dann abziehen zu können, wenn der Rückwärtsgang eingelegt war. Die Idee dahinter: Autodieben ihr Vorhaben zu erschweren. Allerbeste Freunde, die den Saab geliehen bekamen, ohne in dieser Angelegenheit aufgeklärt worden zu sein, verzweifelten.
Als einer der ersten Hersteller stattet Saab seine Fahrzeuge mit einem Dreiwegekatalysator aus. Er ist im Herbst 1976 als erster mit einem serienreifen Turbomotor für Personenwagen auf dem Markt. Nach Kinderkrankheiten des Neulings will Saab gut zehn Jahre später etwas für seinen angekratzten guten Ruf tun und beweist beim Härtetest auf dem Hochgeschwindigkeitskurs von Talladega in den Vereinigten Staaten Stehvermögen. Drei serienmäßige 9000 Turbo absolvieren jeweils 100.000 Kilometer in 20 Tagen, Durchschnittsgeschwindigkeit 213,299 km/h. Runde um Runde im Oval mit Steilkurven. Angehalten wird nur, um zu tanken, Reifen und Fahrer zu wechseln. Der Motor absolviert das Pensum ohne Murren. Die Kundschaft in den Staaten horcht auf. Erst recht im nächsten Jahrtausend, als der Tacho eines Saab 900 nach 17 Jahren auf den Highways der Bundesstaaten Florida und Vermont eine Million Meilen anzeigt. Die Summe von Dienstreisen des Versicherungsvertreters Peter Gilbert mit einem täglichen Pensum von rund 300 Meilen. Nach 1.001.385 Meilen beschließt der Vielfahrer, den immer noch rüstigen Saab dem Automobilmuseum in Hartford, Wisconsin, zu übergeben. Die Entscheidung, lässt er wissen, sei ihm so schwergefallen, als hätte er sich durchringen müssen, einen nahen Verwandten ins Altersheim zu bringen. Saabs amerikanische Niederlassung honoriert so viel Publicity mit der Gegenleistung eines Gratisneufahrzeugs seiner Wahl. Für den Stammkunden wird der spendierte 9-5 Aero Sportkombi bereits sein neunter Saab.
Zu diesem Zeitpunkt hat Saab längst den Pollenfilter an Bord, die Automatic Performance Control (APC), eine Motorsteuerung, die es erlaubt, auch Treibstoff mit einer niedrigeren Oktanzahl zu tanken, ohne an Effizienz und Dauerhaltbarkeit einzubüßen. Die asbestfreien Bremsbeläge sind so selbstverständlich Standard wie FCKW-freie Klimaanlagen. Alles schön und gut, doch mit Einführung des 9000er, erst recht der Premiere des 9-3ers finden Saab-Puristen, dass die Neuen gefällig bis gewöhnlich ausgefallen seien, halt nicht „saabisch“ genug. Immer noch Autos mit inneren Werten, aber aus der Distanz ließe sich das Hinterteil etwa der 9-3er Limousine doch glatt mit dem eines BMW verwechseln – automobiler Mainstream halt. Was sich hinter den Kulissen in Trollhättan tut, schlägt sich in der Linienführung der Modelle nieder. Parallel dazu sind Annehmlichkeiten – etwa die Sitzheizung – außer in Spitzenmodellen nur noch als Extra gegen Aufpreis zu haben. Denn General Motors setzt den Rotstift an, seit sich der Konzern 1989 mit einer Investition von 600 Millionen Dollar 50 Prozent der Anteile an Saab gesichert hat.
Die Bilanzen bleiben defizitär. Saabs 1970 eingegangene Liaison mit dem Lastwagenkonzern Scania aus Malmö endet 1995. Es bleibt immerhin beim Saab-Scania-Logo, dem Greif mit Krone auf Kühlerhaube und Kofferraum. Fünf Jahre nach Scanias Ausstieg wird Saab für weitere 125 Millionen Dollar (man beachte den Wertverlust) zur hundertprozentigen GM-Tochter. Die fühlt sich fortan wie eine Stieftochter behandelt. Denn GM hat das Interesse an Saab verloren. Wobei die Frage bleibt, ob es je bestanden hat. Man zeigt sich offen für Interessenten, gewinnt 2010 den niederländischen Kleinstserienhersteller Spyker Cars als Käufer, der sich allerdings finanziell übernimmt. Der Insolvenzantrag am 19. Dezember 2011 beendet ein Kapitel des Baus von Autos für romantische Nonkonformisten, auch weil GM die Freigabe für Patente und Lizenzen etwa für den chinesischen Markt blockiert.
In den sozialen Netzwerken ist das Dilemma der verbliebenen Saab-Enthusiasten zu besichtigen. Auf Deutschlands Straßen waren am 1. Januar dieses Jahres noch 40 200 Saabs zugelassen. Die Reise mit dem mobilen Gefährten ist endlich. Die Suche nach jüngeren Jahrgängen mit passablen Kilometerständen (alles unter 120 000) wird mit einer Empathie betrieben, die Partnerfindung in Datingportalen locker in den Schatten stellt. Termine in den immer noch gut 100 bundesweit existierenden Saab-Werkstätten des Vertrauens werden zum Stelldichein von Verbliebenen, deren Konversation mit der Frage beginnt, wie viele Kilometer der andere Saab auf dem Buckel habe und welche Alterserscheinungen ihm zusetzten. Die mitfühlende Gegenfrage läuft darauf hinaus, zu erfahren, um den wievielten Saab es sich handle. Schnell ist man sich einig: Nein, eine Alternative für die Summe an Annehmlichkeiten und Nützlichkeiten ist nicht in Sicht, ja, das Alter geht ins Geld, aber nein, einen Ersatz mit dem Saab-typischen Fahrgefühl, dem Geborgensein in den speziellen Sitzen wie angegossen, vor sich das einzigartige Cockpit, gibt es nicht.
In Saab-Foren verabredet man sich zu Stammtischen, tapfer werden Durchhalteparolen ausgegeben. Über das Ausschlachten von nicht mehr fahrtüchtigen Saabs wird so emotional diskutiert, als handle es sich um Organspenden. Verkäufe unter Wert verbieten sich aus Gründen die eher ideeller Natur sind, bar wirtschaftlicher Vernunft. Fundstück im Netz: „Und so werde ich nach Ablauf der Angebotszeit versuchen, meinen geliebten Saab irgendwo unterzustellen und einen Weg zu finden, ihm ein weiteres Autoleben anderweitig zu ermöglichen. Irgendwo bin ich fast froh, dass er bei mir bleibt.“ „SAAB. More than a car“, wie der vom Sohn belächelte Aufkleber an der Außenscheibe des in der Einfahrt geparkten 9-3ers verheißt? Man muss es erfahren haben.