Knipskasten für Göttin Mju
Es war einmal. . . Vor Jahr und Tag, als man noch einen Film in seinen Fotoapparat einlegte, kam Briefpost mit Foto-Neuheiten auf den Schreibtisch. Seitenlange Beschreibungen und dazu stapelweise Hochglanzfotos von den Produkten. Die Fotos, die der Hersteller Olympus versandte, ließen sich erkennen, ohne auf die Apparate zu achten oder genauer hinzusehen. Es waren immer schöne Frauen, die vorzugsweise kleine, elegant gestylte Kameras dem Betrachter entgegenhielten. O nein, das war nicht „Sex sells“. Die Models waren so elegant gewandet und schauten so ladylike, als ob Göttinnen vom Planeten Vogue herabgestiegen wären, um uns mit Knipskästchen bekannt zu machen, die so schicke Namen trugen wie Mju. So wurde der griechische Buchstabe µ transkribiert und gesprochen, und die Ladys mit den sauber lackierten Fingernägeln zeigten, wie schnell und elegant sich solch ein Autofokus-Etui für einen Schnappschuss aufschieben ließ. In „Technik und Motor“ waren die Posen mit den Damen kaum verwendbar, egal, wie gut die kleinen Kameras sein mochten, es war einfach nicht die richtige Bildersprache für den Technikteil dieser Zeitung.
Das ist alles lange her. Aber es konnte einem wieder einfallen, nachdem – natürlich digital und von verschiedenster Seite – die Nachricht eintrudelte, Olympus trenne sich von seiner seit mehreren Jahren Verluste einfahrenden Kamerasparte. War denn da noch was? Aber ja, und nicht nur die schlanken digitalen Diktiergeräte. Olympus, für die allermeisten nicht näher oder gar beruflich mit dem Unternehmen Befassten eine Marke der optischen Industrie, also in erster Linie Kameras, Objektive, Ferngläser und allenfalls noch Mikroskope, macht mehr als neun Zehntel seines Umsatzes von zuletzt rund 6,5 Milliarden Euro unter anderem mit Medizintechnik. Endoskopiegeräte, dazu industrielle Anwendungen und Labortechnik ist das Hauptgeschäft. Wer das wusste, erlebte Olympus auf dem Massenmarkt der Kameras als eine Art von Verzierung, die einem ansonsten eher unauffälligen Großunternehmen etwas Glamour verlieh: Vogue mitsamt den Models der Modefotos hatte eben entschieden mehr Chic als die zerstörungsfreie Werkstoffuntersuchung.
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