Corona verdirbt die Sitten
Je länger die Pandemie dauert, umso größer werden auch die von ihr angerichteten Kollateralschäden. Dass sich Bürger in der Not kollektiv solidarisch verhielten, hat sich als Illusion erwiesen, womit die vielen positiven Beispiele individuell karitativer Zuwendung nicht geschmälert werden sollen. Nachdem aber dem „Lockdown light“ eine Logik der Verhältnismäßigkeit fehlt – die einen dürfen, die anderen dürfen nicht –, wurde ein Kompensationswettlauf diverser Opfergruppen um fiskalische Entschädigung für die ungerechtfertigten Freiheitsbeschränkungen losgetreten. Anstelle des Lohns gibt es Kurzarbeitergeld. Anstelle am Markt erwirtschafteter Einkommen gibt es November- und Dezembergeld. Das wird im kommenden Jahr so weitergehen, auch wenn die Berechnungsgrundlagen sind ändern. Die Kanzlerin sagt, man könne nicht bis zum Ultimo zahlen – sie meint, nicht bis zum jüngsten Tag. Das heißt umgekehrt: Staatsgeld wird es noch eine ganze Weile geben.
Ich will gar nicht bestreiten, dass staatliche Kompensationen für Corona-Schäden in dieser vermaledeiten Krise gerechtfertigt sind. Ich will auf die unbeabsichtigten Konsequenzen hinweisen, die verheerend sind: Corona verdirbt die Sitten. Und zwar schleichend. Wir alle bekommen mehr und mehr das Gefühl, in einer Gratiswelt zu leben. Kommt das Geld nicht von der Firma, kommt es halt vom Staat. Wer sich übergangen fühlt, muss nur laut genug schreien, dann kommt Frau Grütters oder Herr Altmaier alimentierend und strukturkonservierend vorbei. Die Corona-Opfer (ob Restaurantbesitzer oder Singer-Songwriter) machen jetzt häufig geltend, sie hätten doch in guten Zeiten viele Steuern bezahlt, woraus sich ein Anrecht begründe, in der Not etwas zurückzubekommen. Es nistet sich das Missverständnis ein, Steuern zahle man als eine Art Sozialversicherung für kollektive Schicksalsschläge. Dabei gibt es bei Steuern gerade kein Äquivalenzprinzip. Steuern sind dazu da, öffentliche Leistungen zu finanzieren und Geld von den Reichen zu den Bedürftigen umzuverteilen.
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