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Sauber sollte der Diesel sein: „Clean Diesel“ hieß die Kampagne, mit der Volkswagen in Amerika den Ruf des Treibstoffs aufpolieren wollte. Gut war der bis dahin nicht: „Diesel“ sei lateinisch für „dreckig“, sagte eine ältere Frau in einem der VW-Spots von damals noch. Ihre ebenfalls rüstige Freundin hielt daraufhin ihren weißen Schal vor den Diesel-Auspuff. Der Schal blieb natürlich weiß und die Damen waren überzeugt: Der Diesel ist sauber.
Dann kam heraus: Die Autos waren manipuliert und alles andere als sauber. Volkswagen stieß der Dieselskandal dann bekanntlich in eine der größten Krisen seiner Geschichte. Für die Wissenschaft scheint er sich jetzt dagegen als Glücksfall zu erweisen – für Volkswagen hingegen könnte genau das zu neuem rechtlichen Ärger in Amerika führen, und zu weiteren Kosten im Dieselskandal.
In einer neuen Studie haben Wissenschaftler nämlich berechnet, wie stark sich die manipulierten Dieselautos auf die Luftverschmutzung und damit auf die Gesundheit von Neugeborenen ausgewirkt haben. Dabei haben sie 23 Dieselmodelle des Volkswagen-Konzerns, darunter Autos der Marken VW, Audi und Porsche, und 2 Modelle von Fiat-Chrysler einbezogen.
Das Ergebnis der Forscher: In Amerika sind etwa 38.000 Kinder zwischen 2008 und 2015 wegen der Manipulation mit einem geringen Körpergewicht von weniger als 2500 Gramm auf die Welt gekommen. In amerikanischen Landkreisen mit vielen manipulierten Dieselautos hätten zudem deutlich mehr Kinder unter Asthma gelitten. Am stärksten betroffen seien Landkreise, in denen wohlhabende und gebildete Menschen mit weißer Hautfarbe lebten.
Von der F.A.Z. befragte Rechtswissenschaftler halten es für gut möglich, dass die Untersuchung Grundlage einer neuen Sammelklage in Amerika wird. Der in Köln lehrende Kirk Junker, der den Lehrstuhl für amerikanisches Recht innehat und sich zudem mit Umweltrecht beschäftigt, meint: „Eine Sammelklage ist wahrscheinlich.“ In dieser sei für Anwaltskanzleien „wegen der Anzahl und des Alters der Geschädigten ein riesiger Gewinn“ möglich. Deshalb würden die Kanzleien das sicher versuchen.
In Amerika seien die Sammelklagen schließlich ein einträgliches Geschäft. Und die entsprechenden Anwälte würden nicht bei null anfangen, sondern hätten sich mit der Thematik schon intensiv beschäftigt. Wenn es ganz schlecht läuft für Volkswagen kann das Ergebnis laut Junker sein, dass das Unternehmen für jedes betroffene Kind den über das gesamte Berufsleben entstehenden Schaden durch geringere Gehälter erstatten müsse.
Entscheidend sei, wie gut die Untersuchung sei, betont ein Rechtsprofessor einer amerikanischen Eliteuniversität, der auch an einem vorherigen Verfahren gegen VW im Dieselskandal beteiligt war. Er hält vor allem ein Verfahren zur Erstattung von Kosten für medizinische Kontrollen für möglich. In den vergangenen Jahren habe es mehr und mehr auf solchen Studien basierende Sammelklagen gegeben.
Von der F.A.Z. befragte Gesundheitsökonomen halten die Studie für „sehr innovativ“ und methodisch für gut gemacht. Zu der Anzahl der Betroffenen gibt es unterschiedliche Einschätzungen: Ein Wissenschaftler hätte eher geringere Auswirkungen erwartet, ein anderer hält die Größenordnung für plausibel.
Autoren der Studie sind Diane Alexander und Hannes Schwandt. Alexander hat ihren Doktor in Wirtschaftswissenschaft an der Universität Princeton gemacht und arbeitet für den Ableger der amerikanischen Zentralbank Fed in Chicago. Schwandt ist Gesundheitsökonom an der Northwestern University, einer Privatuniversität nahe Chicago, die verschiedene Ranglisten im Bereich Wirtschaftswissenschaft übereinstimmend auf Rang 12 der Welt sehen. Promoviert hat er an der London School of Economics und frühere wissenschaftliche Artikel wurden unter anderem in der Zeitschrift Science veröffentlicht, einer der renommiertesten Wissenschaftszeitschriften der Welt.
Volkswagen stellt die Methodik der Studie gegenüber der F.A.Z. infrage: „Volkswagen begrüßt die Forschung an den Folgen von Auto-Emissionen. Für konkrete Schlüsse oder Ableitungen müssen Studien allerdings fundiert und breit angelegt sein. Das bedeutet auch, dass unabhängige Gutachter sich die jeweiligen Studien anschauen und die Thesen bestätigen. Allein die Korrelationen von Daten – also lediglich verschiedene Statistiken übereinander zu legen – lässt keine Rückschlüsse auf kausale Zusammenhänge zu.“ Zudem sei heute keines der Fahrzeuge mehr auf der Straße.
Schwandt entgegnet im Gespräch mit der F.A.Z.: „Ich stimme dem sehr zu, dass zwischen Korrelation und Kausalität unterschieden wird. Aber genau deshalb sollten wir uns die Studien anschauen, die in Richtung Kausalität gehen.“ Das sei bei seiner Studie der Fall. Er geht sogar noch weiter: „Die einfachen Studien, die nur die Korrelation berechnen und zurecht kritisiert werden, die scheinen das Problem eher zu unterschätzen. Deshalb kann ich dem nicht zustimmen, wenn die Leute sagen: Das ist nur Korrelation, das ist nicht so schlimm.“
Noch handelt es sich bei der Studie um ein Arbeitspapier, das in den Forschungsreihen des Instituts zur Zukunft der Arbeit, dem Center for Economic Policy Research und der Federal Reserve Bank Chicagos veröffentlicht wurde, und das Schwandt und Alexander nach eigenen Aussagen auf etwa 40 wissenschaftlichen Konferenzen und Seminaren präsentiert haben, darunter etliche Eliteuniversitäten wie Stanford und Berkeley und das amerikanische National Bureau of Economic Research.
Die Reaktionen der Kollegen seien jedes Mal sehr positiv gewesen, sagt Schwandt. Die meisten hielten seine Ergebnisse für plausibel. Auch die von der F.A.Z. befragten Gesundheitsökonomen gehen davon aus, dass die aktuelle Studie „sehr gut veröffentlicht wird“, also in einer angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift.
Gegenüber der F.A.Z. erklärt der Wissenschaftler das Vorgehen in der Studie: „Die manipulierten Autos geben uns die Möglichkeit, grundsätzlich den Effekt von Stickoxiden und anderen Abgasen auf die Gesundheit zu messen.“ Normalerweise würden Menschen nämlich versuchen, zu starke Verschmutzung zu umgehen. „Man geht ja nicht an der Autobahn joggen“, sagt Schwandt. Da die Bevölkerung von den höheren Abgasen aber gar nichts gewusst hätte, könne man dank der Manipulation den vollen Effekt der Luftverschmutzung auf die Gesundheit messen.
Um zu berechnen, welchen Einfluss die manipulierten Diesel auf die Gesundheit von Neugeborenen hatten, haben sich Alexander und Schwandt in der Studie angeschaut, wie viele der Autos in welchem amerikanischen Landkreis verkauft wurden. Zudem nahmen sie Daten zur Gesundheit von Kindern und Neugeborenen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass in Landkreisen, in denen viele manipulierte Dieselautos gekauft wurden, die Luftverschmutzung angestiegen ist. Die Gesundheit von Neugeborenen und Kindern verschlechterte sich dadurch. Andere Faktoren wie die Demographie oder wirtschaftliche Entwicklungen veränderten sich im Vergleich zu anderen Landkreisen dagegen nicht.
Um auszuschließen, dass andere, nicht beobachtbare Faktoren für die Entwicklung der Gesundheitsdaten verantwortlich waren, haben sich die Forscher eines Kniffs bedient: Sie haben die Käufer der manipulierten Diesel mit denen der nicht-manipulierten Benziner-Versionen verglichen. Schwandt sagt: „Das Konsumentenprofil von Diesel- und Benziner-Käufern war sehr ähnlich.“ Wenn nun andere Effekte die Gesundheit der Neugeborenen beeinflusst hätten, argumentieren die Forscher, hätte es die gleiche Entwicklung der Gesundheitsdaten auch in Landkreisen geben müssen, in denen besonders viele Benziner verkauft worden seien. „Bei den Benzinern sind die Effekte aber nicht zu sehen. Wenn, dann geht das eher in die entgegengesetzte Richtung.“ Die Luft wurde also eher besser, wo die Benziner fuhren.