Eilfahrt für die LNG-Schiffe gegen Russland

Krisen können auch Beschleuniger sein, etwa für die Nutzung von Flüssiggas. Weil Deutschland von Rohstofflieferungen aus Russland unabhängig werden will, soll es jetzt ganz schnell gehen mit dem sogenannten Liquified Natural Gas (LNG). Am Donnerstag will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Wilhelmshaven gemeinsam mit dem niedersächsischen Energieminister Olaf Lies (SPD) den Grundstein für Deutschlands ersten Flüssiggasterminal legen. Genauer gesagt: Von einem Schiff aus werden die beiden verfolgen, wie in der Jade vor Hooksiel ein erster Pfeiler für den neuen Anleger in den Meeresgrund gerammt wird.
Betreiben wird die neue Anlage der Energiekonzern Uniper, der auch den dafür nötigen mobilen Terminal gefunden hat, eine sogenannte „Schwimmende Speicher- und Regasifizierungseinheit“ (FSRU). Dieses Spezialschiff mit dem Namen „Esperanza“ soll im Sommer angeschlossen werden, zum Jahresende könnte die LNG-Einfuhr anlaufen. Gechartert wird die „Esperanza“ von der Bundesregierung, die für insgesamt vier solcher FSRU knapp drei Milliarden Euro bereitstellt. Die Kapazität in Wilhelmshaven beträgt 9 Milliarden Kubikmeter im Jahr, das ist ein Zehntel des gesamten deutschen Gasbedarfs oder ein Fünftel dessen, was bisher aus Russland kam. RWE plant ein Terminal in Brunsbüttel, als weitere Standorte sind Stade, Hamburg-Moorburg und Eemshaven in Holland im Gespräch.
Kapazitätserweiterungen nötig
Im Herbst 2023 könnte in Wilhelmshaven ein weiteres FSRU-Projekt über 9 Milliarden Kubikmeter in Betrieb gehen, unter Ägide der Shell- und BP-Tochtergesellschaft Nord-West Oelleitung. Das Gas vom LNG-Terminal soll nahe am 30 Kilometer entfernten Kavernenfeld Etzel – einem der größten Untergrundspeicher Europas – ins bisherige deutsche Gasnetz fließen. Dazu baut der Netzbetreiber Open Grid Europe (OGE) bis Ende 2022 eine Anschlussleitung. Die Rohre sind schon bestellt, im August soll die Verlegung beginnen. Gas aus Wilhelmshaven müsste in eine Pipeline eingespeist werden, die schon Gas aus Norwegen heranführt und stark ausgelastet ist. Das setze Kapazitätserweiterungen im nachgelagerten Netz voraus, hieß es.
Wichtig ist allen Beteiligten, dass die Infrastruktur später auch für grüne Energieträger genutzt werden kann, etwa für Wasserstoff, denn Erdgas gilt nur als Übergangslösung hin zu einem nichtfossilen Zeitalter. In Wilhelmshaven ist bis 2025 der Ausbau zu einer „Energiedrehscheibe“ mit Entlade- und Umschlagsmöglichkeiten für grünes Ammoniak geplant. Es soll entweder über die Schiene abtransportiert oder vor Ort in Wasserstoff zurückverwandelt werden. Zudem plant Uniper eine Elektrolyseanlage, um mithilfe von Windstrom grünen Wasserstoff herzustellen.
Das gegenwärtige Hauruckverfahren in Wilhelmshaven ist schon der zweite Anlauf. Vor anderthalb Jahren scheiterte ein erster Uniper-Versuch daran, dass das LNG damals im Vergleich zu russischem Pipelinegas zu teuer war. Aber auch Umweltbedenken standen dagegen, etwa ein Biotop des Borstenwurms. Nach dem Fehlschlag wich Uniper auf das LNG-Terminal in Rotterdam aus und sicherte sich dort Einfuhrkapazität. Bis Oktober 2024 steigt sie auf vier Milliarden Kubikmeter im Jahr, womit Uniper der größte Nutzer des Terminals sein wird. Für den LNG-Transport hat das Unternehmen sieben Schiffe lang- und mittelfristig gechartert. Im Jahr hatte Uniper schon mehr als 300 Schiffsladungen LNG gehandelt und gehört damit zu den wichtigsten Spielern auf diesem Markt.
Die Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen diesmal schneller gehen, Einsprüche flotter ausgeräumt werden. Das ist Aufgabe eines LNG-Beschleunigungsgesetzes, dessen Entwurf Habeck jetzt in die Ressortabstimmung mit den anderen Ministerien gegeben hat. Im Einklang mit einer Europäischen Richtlinie sieht das Papier unter anderen vor, von der Umweltverträglichkeitsprüfung abzusehen.

Werktags um 6.30 Uhr
ANMELDENEin „umweltpolitischer Blindflug“
In dem Entwurf heißt es: „Ziel des Gesetzes ist es, alle Zulassungs- und Genehmigungsverfahren sowie die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen erheblich schneller zu durchlaufen, als dies nach aktueller Rechtslage möglich ist.“ So wird in allen Verfahren die Dauer der Öffentlichkeitsbeteiligung auf zwei Wochen limitiert, und es soll nur noch eine Klageinstanz geben, das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
Umweltschutzverbände befürchten einen „umweltpolitischen Blindflug“ in den „extrem sensiblen Ökosystemen Nordsee und Wattenmeer“, wenn die Umweltverträglichkeitsprüfung wegfalle. Nach Einschätzung des Bonner Rechtsprofessors Wolfgang Durner hätte aber vor allem dieser Schritt das Potential die FSRU-Projekte zu beschleunigen. Als „Luftnummer“ bewertet Durner dagegen die Pläne, gesetzlich festzulegen, dass Vorhaben zur Nutzung von Flüssiggas „im überragenden öffentlichen Interesse und im Interesse der öffentlichen Sicherheit“ liegen.
„Dem liegt die irrige Vorstellung zugrunde, dass sich die juristischen Probleme umweltrelevanter Projekte in Abwägungsentscheidungen lösen lassen“, sagte er der F.A.Z. Eine gesteigerte abstrakte Formulierung entbinde nicht von der Pflicht, zwingendes Naturschutzrecht zu beachten. Ihm sei kein Vorhaben der Energiewende bekannt, dass an der Abwägung gescheitert sei. Wenn überhaupt, seien unzureichende Ermittlungen zu den Umweltauswirkungen gerügt worden.
Die Deutsche Umwelthilfe hat einen sofortigen Baustopp des neuen Terminals zum Import von Flüssigerdgas (LNG) in Wilhelmshaven gefordert. Mit dem Bau drohe die unumkehrbare Zerstörung eines Unterwasser-Biotops, außerdem würden Schweinswale gefährdet, teilte der Verein am Mittwoch mit. Trotzdem sei der Baustart ohne Offenlegung der Unterlagen und Beteiligung von Umweltverbänden genehmigt worden. Die Umwelthilfe habe daher Widerspruch gegen den Bescheid des Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) eingelegt.
„Statt endlich konsequent den Wandel hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft einzuleiten, wird der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen weiter Tür und Tor geöffnet“, kritisierte der Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe, Sascha Müller-Kraenner. Gerade in Krisenzeiten müssten die Prinzipien des Rechtsstaates gewahrt bleiben. Das gelte besonders für das Klimaschutz- und Umweltrecht.
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