Noch keine Panik vor den Russen

Während sich die politischen Alarmmeldungen über einen möglichen Einmarsch Russlands in der Ukraine täglich zuspitzen, die Amerikaner Botschaftspersonal abziehen und die Bundesregierung vorsorglich Notfallpläne für die Evakuierung von Bundesbürgern erarbeitet, üben sich Wirtschaftsvertreter in Gelassenheit. „Natürlich bekommen wir den ein- oder anderen besorgten Anruf“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer, Alexander Markus, der F.A.Z., aber er sagt auch: „Es mag erstaunlich klingen, aber wir hatten in den letzten zwei Monaten mehr Anfragen von deutschen Unternehmen, die ernsthaft größere Investitionen in Betracht ziehen, als in den vergangenen zehn 10 Jahren in einem vergleichbaren Zeitraum.“ Dabei gehe es um Zulieferunternehmen für die deutsche Industrie, vor allem im Automobilbereich, Einzelhandel „und immer wieder IT“. Was die Ukraine attraktiv mache? „Die Verfügbarkeit von bezahlbaren Fachkräften und mit mehr als 40 Millionen Einwohnern ein relevanter Absatzmarkt.“
Ähnlich lautet die Auskunft der österreichische Wirtschaftsdelegierten in Kiew. „Grundsätzlich laufen die Geschäftsaktivitäten normal weiter, und es liegen uns keinerlei Informationen über einen etwaigen Personalabzug vor“, antwortet Gabriele Haselsberger auf Fragen der F.A.Z., und sie ergänzt: „Laufende Investitionsprojekte werden unseres Wissens nach fortgesetzt. Völlig neue Projekte, die vorerst aufs Eis gelegt werden, sind uns aktuell keine bekannt.“ Ausländische Direktinvestitionen in der Ukraine waren nach einem Rückgang im Jahre 2020 im vorigen Jahr wieder angestiegen.
Die ukrainische Wirtschaft insgesamt hatte sich im abgelaufenen Jahr von der Corona-Krise erholt, auch wenn das Wachstum des Bruttoinlandproduktes (BIP) mit wohl 2,8 Prozent den Einbruch aus dem Vorjahr von 4 Prozent nicht wettmachen konnte. Eine Rekordernte bei zugleich steigenden Weltmarktpreisen für Agrarprodukte haben den Aufschwung unterstützt und das BIP des Landes mit seinen 40 Millionen Einwohnern auf bisher nicht erreichte 200 Milliarden Dollar gehoben.
Keine Hamsterkäufe
Das stützt die Stimmung. Es gibt keine Berichte von Hamsterkäufen in Lebensmittelgeschäften oder von Schlangen vor den Bankautomaten, wo die Leute ihre Konten plündern. „Das wären erste Anzeichen dafür, dass die lokale Bevölkerung das Vertrauen verliert und alles in Dollar tauscht“, sagt Robert Kirchner. Er ist stellvertretender Leiter des von der deutschen Bundesregierung finanzierten German Economic Team, das die Regierung in Kiew in Wirtschaftsfragen berät. Kirchners Team rechnet für dieses Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 3,3 Prozent in der Ukraine, sollten sich die geopolitischen Spannungen nicht verschärfen.
Auf das Niveau hatte die Kiewer Notenbank vorige Woche ihr Wachstumsziel für 2022 zurückgenommen. Es beträgt jetzt nur noch 3,4 Prozent und nicht mehr 3,8 Prozent. Das Potential der Wirtschaft werde begrenzt durch die Folgen der Corona-Krise, hohe Energiepreise und Engpässe bei Rohstoffen, sagte der Vorsitzende der Nationalbank der Ukraine, Kyrylo Schewtschenko. An erster Stelle aber nannte er die „angespannte geopolitische Lage, die sich auf Investitionsentscheidungen auswirken wird“.
Doch selbst die Finanzmärkte, die klassischen Frühindikatoren für wirtschaftliche Folgen politischer Beben, reagierten erst mit Verzögerung. „Lange war der Konflikt an den Finanzmärkten kein Thema“, sagt Kirchner. „Ein Grund dafür mag sein, dass die Märkte sich an das Auf und Ab politischer Spannungen in den vergangenen Jahren gewöhnt haben und eine gewisse Gelassenheit an den Tag gelegt haben“, sagt er. Allerdings war es im Laufe des Januars damit dann doch vorbei.
Steigende Risikoprämien
Für ukrainische Anleihen in Dollar und Euro legte die Risikoprämien zuletzt deutlich zu. „Die Renditen auf US-Dollar-Fremdwährungsanleihen sind in den letzten Wochen von etwa 8 bis 9 Prozent auf 11 bis 12 Prozent gestiegen“, sagt Gunter Deuber, Leiter der volkswirtschaftlichen Analyse der in der Ukraine stark engagierten österreichischen Raiffeisenbank International (RBI). Und das liege nicht allein am russischen Säbelrasseln. „Globale Zinsthemen spielen auch hier eine Rolle.“
Andererseits sagt Deuber aber auch: „Natürlich signalisieren zweistellige Renditen und ein rascher Anstieg auf solche Niveaus in wenigen Tagen ein Risiko-Pricing, dass sicher auch mit geopolitischen Risiken zu tun hat, die nicht nur die territoriale Integrität der Ukraine in Frage stellen, sondern auch die Rückzahlungsfähigkeit der Ukraine belasten könnten.“
Fachleute erwarten nicht, dass die Regierung zu den aktuellen Konditionen an den internationalen Markt gehen würde. Aber im Zweifel kann sie auf den Internationalen Währungsfonds (IWF) zählen. Der hat aus einem im Jahr 2020 zugesagten Programm über 5 Milliarden Dollar erst 2,8 Milliarden Dollar ausgezahlt. Auch andere Institutionen wie die EU oder deren Entwicklungsbanken sind immer wieder mit Finanzhilfen und Projektfinanzierungen zur Stelle, auch wenn von der Ukraine versprochene Reformen für mehr Unabhängigkeit des Justizapparates, zur Bekämpfung der einflussreichen Oligarchen oder zur Privatisierung der nach wie vor umfangreichen Staatswirtschaft enttäuschend langsam vorankommen. Gerade erst kündigte die EU eine neue Milliardenhilfe an.
Spannungen lasten auf der Währung
Die dürfte sehr willkommen sein, denn steigende Zinsen werden es dem Finanzminister in Kiew nicht eben leichter machen, Geld zur Finanzierung des defizitären Budgets aufzutreiben. Erst am vorigen Donnerstag hatte die Notenbank in Kiew den Leitzins überraschend stark um 1 Prozentpunkt auf nun 10 Prozent angehoben. Sie begründete das mit der Inflation von 10 Prozent, den andauern hohen Rohstoffpreisen und erwarteten Lohnerhöhungen. Deutsche Bank-Analysten merken an, nicht zuletzt hätten die geopolitischen Spannungen die Stimmung belastet und die Währung, den Griwna, abwerten lassen.
RBI-Volkswirt Deuber gibt aber zu bedenken, dass die Griwna wegen der sehr entschlossenen Zinspolitik der Notenbank im Jahresverlauf 2021 zu den stärksten Währungen unter den Schwellenländern gehört habe. „Die aktuelle Abschwächung auf Werte über 28 Griwna je Dollar ist damit noch nicht per se alarmierend und ist auch im Kontext der Entwicklung der Schwellenländer zu sehen.“ Zudem stütze die Notenbank den Wechselkurs derzeit nicht aktiv. Deuber sieht darin einen Beleg für das „nicht dramatische Niveau“, zumal die Notenbank über ausreichende Devisenreserven für eine kurzfristige Stabilisierung verfüge.
Kirchner nennt es verständlich, dass die ukrainische Währung etwas an Wert verloren habe. Doch bleibe die makrofinanzielle Stabilität des Landes gewahrt. Wie lange das Vertrauen halte, hänge an zwei Dingen: „Das ist die Dauer des Konfliktes und dessen Intensität. Sollte der sich länger hinziehen oder weiter verschärfen, dann wird das auch entsprechend negative Folgen haben.“