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Um das Recht auf freie Meinungsäußerung wird Deutschland von vielen anderen Staaten beneidet. Geht es aber um die Wahrnehmung in der eigenen Bevölkerung, hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie so schlecht um die Bedeutung der eigenen Meinung und die Möglichkeit, diese zu äußern, gestanden wie heute. Nur noch 45 Prozent der Bundesbürger sind der Ansicht, dass sie in der Öffentlichkeit ihre subjektiven Ansichten frei äußern können. Die Prozentzahl derjenigen, die das Gegenteil behaupten, ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Sie liegt mit 43 Prozent ebenfalls auf einem historischen Höchststand, zeigt die jährliche repräsentative Befragung des Allensbach-Instituts im Auftrag der Roland Rechtsschutzversicherung aus Köln.
In dem aktuellen „Roland Rechtsreport 2022“, welcher der F.A.Z. vor seiner Veröffentlichung in dieser Woche vorab vorliegt, ist sogar von einer Erosion die Rede. „Wir sehen hier offensichtlich einen längerfristigen Trend, der sich aber in den letzten 10 Jahren deutlich verstärkt hat“, sagt Ulrich Eberhardt, Vorstand der Roland Rechtsschutz auf Nachfrage. Der Rechtsreport 2021 zeige eine sehr deutliche Verschlechterung des Stimmungsbildes. „Wenn sich vor 10 Jahren noch zwei Drittel der Bevölkerung in der freien Meinungsäußerung unbeschränkt sahen, sind es jetzt weniger als die Hälfte.“ Binnen eines Jahrzehnts hat die Zustimmung für diese um fast 20 Prozent verloren. Bis zum Ende der 2000er-Jahre hatte der Wert konstant bei mehr als 70 Prozent gelegen.
Ein genauer Blickt auf die kritischen Rückmeldungen zeigt die fortschreitende Spaltung der Gesellschaft. Vielen Befragten geht es nicht um eine mögliche Verletzung ihres Grundrechts durch Eingriffe des Staats, sondern um die gesellschaftlichen Sanktionen, die ihnen drohen, wenn sie gegen Regeln der „political correctness“ verstoßen. „Mit dieser Antwort war angesichts der bekannten öffentlichen Diskurse wohl zu rechnen“, sagt Ulrich Eberhardt, Vorstand der Roland Rechtsschutz, auf Anfrage der F.A.Z. Er verweist darauf, dass dieses Votum je nach Parteipräferenzen differiert, „insbesondere zwischen Anhängern der Grünen und der AfD“.
So stimmten 76 Prozent der AfD-Anhänger der Aussage zu, man müsse in aktuellen Debatten vorsichtig sein. Hingegen sind 65 Prozent der Grünen-Sympathisanten der Meinung, man könne seine Meinung weiterhin kundtun; die Anhänger aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien bewegen sich hier in einem engen Korridor zwischen 42 und 47 Prozent – doch nur jeder siebte AfD-Wähler will sich dem anschließen.
Die möglichen Auswirkungen der Corona-Pandemie wurden im Umfragezeitraum im Dezember 2021 – also zu Beginn der Booster-Kampagne der neuen Ampelkoalition und vor dem starken Anstieg an Infektionen in der Omikron-Welle – ebenfalls berücksichtigt: Während sich im Lager der Geimpften die Meinungsbilder die Waage halten, neigen die Ungeimpften und Impfskeptiker deutlich in Richtung einer eingeschränkten Meinungsfreiheit. Wie die Studienautoren schreiben, hat diese Gruppe zunehmend das Gefühl, Minderheitsmeinungen zu vertreten, die von weiten Teilen der Öffentlichkeit und der Medien kritisiert werden. „Die Lager scheiden sich nicht nur an der Impfpflicht, sondern auch im Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen“, schreibt Renate Köcher, Geschäftsführerin des Allensbachs-Instituts im Vorwort der Studie. Impfgegner hätten ein „weitaus geringeres Vertrauen“ sowohl in die Regierung als auch in die Gesetze und Gerichte, Verwaltung, Polizei und Medien.
Dennoch lässt sich diese Grundskepsis nicht auf den allgemeineren Teil der Umfrage zum Vertrauen in das deutsche Rechtssystem übertragen. Weiterhin haben 70 Prozent der Befragten viel Vertrauen in die Gesetze und die Arbeit der Gerichte; insbesondere die Arbeit der Verwaltungsgerichte in den vergangenen beiden Pandemiejahren dürfte dazu beigetragen haben. Nach Worten von Eberhardt darf dennoch konstant nahezu ein Drittel der Bevölkerung im weitesten Sinne als justizkritisch angesehen werden. Als einen Grund führt der Vorstand des Rechtsschutzversicherers den oft noch fehlenden Umgang mit Legal-Tech-Anwendungen an.
„Der Zuspruch zu alternativen algorithmischen Lösungen wächst quasi mit der jungen Generation in die Gesamtbevölkerung rein, und zwar schnell. Gleichzeitig ist die Bereitschaft, alternativ zu computergestützten Lösungen klassische anwaltliche Angebote anzunehmen, dramatisch gering“, erklärt Eberhardt. So nähere man sich in der Altersgruppe bis 44 Jahre einer Zweidrittelmehrheit, die rechtlichen Angelegenheiten ohne Anwälte zu regeln. Über alle Altersgruppen hinweg würden nur noch 27 Prozent eine Streitbeilegung ausschließlich durch Anwälte bevorzugen.