Rentner sind gar nicht so arm

Altersarmut gilt unter Sozialpolitikern als eine der größten Herausforderungen. Auch wenn die große Koalition mit der Rente ab 63 vorerst andere Schwerpunkte gesetzt hat, sind Pläne einer neuen Mindestrente für Versicherte mit niedrigem Ruhestandsgeld nicht vom Tisch.
Die amtliche Statistik scheint sie zu bestätigen – der Anteil der älteren Deutschen, die wegen geringer Einkünfte als armutsgefährdet gelten, steigt. Ein zweiter Blick zeigt indes, dass die Statistik das Ausmaß der Schwierigkeit überzeichnet. Zu diesem Ergebnis gelangt jedenfalls eine Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorliegt: Vor allem lasse die amtliche Armutsquote die Vermögen außer Acht.
Laut Daten des Statistischen Bundesamts hat sich der Anteil der über 65-Jährigen, die wegen geringer Einkünfte als armutsgefährdet gelten, seit 2005 um mehr als 3 Prozentpunkte auf rund 14 Prozent erhöht. Er liegt damit zwar weiterhin unter dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung von 15,5 Prozent, ist jedoch in den vergangenen Jahren stärker gestiegen. Als armutsgefährdet gelten Menschen, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in der Gesellschaft beträgt.
Vermögen auf der hohen Kante
IW-Verteilungsforscherin Judith Niehues hat diese Befunde nun mit Einkommens- und Vermögensdaten aus dem sogenannten Sozio-oekonomischen Panel, einem breiten, wissenschaftlich anerkannten Datenfundus, verglichen. Die wichtigste Feststellung: Selbst von den Senioren, deren Einkommen unterhalb jenes Schwellenwerts von 60 Prozent liegt, hat mindestens etwa jeder Vierte ein Vermögen auf der hohen Kante, das ihn auf Jahre hinaus vor Armut schützen kann.
Als „nicht vermögensarm“ werden dabei Ältere definiert, die durch eine schrittweise Auflösung ihres Vermögens auch ohne zusätzliche Hilfe des Staates mindestens zehn Jahre lang die Lücke zwischen aktuellem Einkommen und der Schwelle der Armutsgefährdung schließen können.
Der genaue Wert hängt davon ab, ob man unterstellt, dass am Ende auch selbstgenutztes Wohneigentum versilbert werden muss oder nicht: Falls ja, sind 3,8 Prozent der Älteren zwar „einkommensarm“, haben aber so viel auf der hohen Kante, dass sie nicht als „vermögensarm“ gelten. Lässt man das Wohneigentum beiseite, sind es immer noch 2,9 Prozent.
Einkommens- aber nicht vermögensarm
Berücksichtigt man den Faktor Vermögen, liegt die vieldiskutierte Armutsgefährdungsquote der Älteren nur bei rund 10 Prozent und damit weiterhin deutlich unter dem Gesamtdurchschnitt. Da die meisten jüngeren Menschen weniger Vermögen haben, fällt dieser Faktor bei ihnen nicht stark ins Gewicht. Im Durchschnitt sind nur etwa 2 Prozent der Jüngeren zwar einkommens-, aber nicht vermögensarm – selbst wenn man das Wohneigentum mitzählt.
Zudem überzeichne die amtliche Statistik das ganze Armutsproblem noch durch einen weiteren Faktor, legt die Studie dar: Die Befragungen für den amtlichen Mikrozensus seien so angelegt, dass die Befragten nur ihr laufendes Nettoeinkommen nennen, ohne Weihnachtsgeld und andere Sonderzahlungen. Für das Sozio-oekonomische Panel werde das jeweilige Haushaltseinkommen indes durch präzisere Fragen vollständiger erhoben – mit der Folge, dass es systematisch etwas höhere Einkommen und weniger Armut anzeigt.