Kurioses Design
Made by Corona
08.01.2021
, 09:23
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Unter der Haube
Wer speisen will wie im Ritz, braucht sich dafür künftig gar nicht mehr in Schale zu werfen, geschweige denn das eigene Haus verlassen. Die Plexiglas-Hauben, die tatsächlich auch im Edelhotel in Bahrein für jeden Gast wie durchsichtige Lampenschirme von der Decke baumeln, könnten auch am heimischen Esstisch das Motto erfüllen: Jeder behält seine Aerosole und Tröpfchen gefälligst für sich. Das ist wohl die Idee hinter Christophe Gernigons Entwurf, den es in Single- oder Doppelgröße gibt und der zwischen 95 und 195 Euro kosten soll. Von der Frage, ob so effektiver Virenschutz aussieht, mal abgesehen – ist das praktikabel? Wie bugsiert man den Suppenlöffel waagerecht und kleckerfrei unter die Haube? Beschlägt die Scheibe mit einer heißen Kartoffel im Mund? Funktionieren Tischgespräche noch? Was ist, wenn Aioli auf dem Speiseplan steht? Fragen über Fragen, aber was tut man nicht alles für den Fünf-Sterne-Auftritt?
Bild: Christophe Gernigon Studio
Ballspiele
Um Kontakte zu minimieren, kommen immer mehr absurde Ideen zum Vorschein. So etwa jüngst der Appell der Bundesregierung, Kinder im Lockdown nur noch einen Freund oder eine Freundin sehen zu lassen, als gäbe es keine kreativeren Lösungen, die Kleinsten voneinander fernzuhalten. Zum Beispiel etwa übergroße Plastikbälle, auch Bubbles, Zorbing Balls oder Wasserlaufrollen genannt. Das wurde schon hier und da getestet, so von der amerikanischen Band The Flaming Lips bei einem Konzert in diesem Sommer oder bei Sportvereinen, die Bubble-Fußball ins Freizeitangebot aufgenommen haben. Wenn nicht gerade von Tomas Saraceno erdacht, mag das vielleicht komisch aussehen. Zumindest garantieren die Plastikbälle spielerisch Abstand und Geselligkeit. Wer Kindern den Spaß nicht nehmen will, muss auf unorthodoxe Methoden ausweichen. Lädt man zum gemeinsamen Rollen ins eigene Heim stellt sich nur die Frage, wann die Grenzen der vier Wände dann doch erreicht sind.
Bild: Getty
Distanzierte Tischkultur
Einer der großen Trends beim Essen war zuletzt das Teilen von Speisen. Ein paar bunte Teller in die Mitte gestellt, und jeder bedient sich nach Belieben. Am besten an einem langen Gemeinschaftstisch mit vielen Gästen schön kuschelig sitzend. Das ist nun nicht ganz das Lebensgefühl des Winters 20/21, aber kommt ja wieder. Bis dahin verabreden wir uns eben paarweise zu Hause und füttern uns gegenseitig mit langstieligen Löffeln und Pinzetten. So jedenfalls stellen sich das die Designer von Boir aus Zagreb vor, die diese Tableware-Kollektion namens „The New Normal“ entworfen haben. Trennelemente aus Metall oder Stein erinnern uns daran, immer schön Abstand zu halten. Überhaupt bemühen sich Boir nicht, die Härten des Pandemiealltags zu beschönigen, so erbarmungslos spitz, zackig und scharfkantig, wie ihre Objekte sind. Da lässt sich keiner gehen, da missachtet keiner im Überschwang die Gebote der Stunde. So gesehen also ein gutes Design. Aber falls jemandem doch eher der Sinn stehen sollte nach Omas Streublümchenservice, dem angelaufenen Silber oder den Stoffservietten mit Weihnachtsmotiv – wir verraten’s nicht dem RKI.
Bild: Studio BOIR
Waschechte Glücksbringer
Mittlerweile ist auch ins hinterletzte Dorf durchgedrungen, dass alkoholhaltige Desinfektionsmittel zwar ganz gut sind, um Coronaviren fernzuhalten, aber nicht so gut wie stinknormale Seife. Genügend Politiker haben es uns im Frühjahr gepredigt: Innenflächen! Handrücken! Fingerspitzen! Zwischenräume! Und Daumen nicht vergessen. Zugegeben, das klingt schon kurios: Ein normales Stück Seife erledigt ein Virus, dem – einmal im Körper – kaum beizukommen ist. Aber vielleicht müssen wir auch einfach den Stellenwert von Seife neu bemessen. Dachten sich auch die Designer des israelischen Bezalel-Inkubators und entwarfen mit „Fortune Soap“ eine Seife als Glücks- (und Heils-)bringer. Die Ähnlichkeit zu chinesischen Glücksknoten, die Bestandteil von Hochzeits-, Geburtstags- und Neujahrsritualen sind, ist unverkennbar. Aber Händewaschen ist ja schließlich auch zum Ritual geworden. Die Designer sagen, die Seife sei Abbild einer veränderten Realität, die sowohl von Aberglauben als auch von wissenschaftlicher Rationalität geprägt ist. Eine Dekoseife als Zeichen von Glück, Wohlstand und Zukunft? Lockdown 2021: Wir sind bereit.
Bild: Foto: Bezalel Incubator, Design: Daniel Garber, Alon Menachem, Daniel Elkayam, Nastya Golobozky, Yae
Elementare Teilchen
Es könnte bald einen Lieferengpass geben. Nein, nicht beim Klopapier, sondern bei Puzzeln. Schon während des ersten Lockdowns gehörte das Kinderspiel zu den großen Wiederentdeckungen der Pandemie, und jetzt, da die Ausgehmöglichkeiten noch beschränkter und die Abende länger werden, könnte der Hype weiter wachsen. Stunden bis Tage kann es dauern, Stück für Stück pittoreske Landschaftsbilder oder bunte Phantasiewelten zusammenzufügen. Irgendwie muss man sich ja die Zeit vertreiben, und obendrein kommt am Ende vielleicht sogar ein zufriedenstellendes Resultat dabei raus. Nach getaner Arbeit wollen sich einige Hobbypuzzler allerdings gleich verewigen. Gerahmt schmückt das vollendete Werk bisweilen wie eine Trophäe der eigenen Geduld die Wände. Das hat in etwa die Wirkung von Kinderzeichnungen am Kühlschrank – ein sentimentales Zeugnis, das aus der Distanz betrachtet ästhetisch hoffentlich bald überwunden ist. Wie so oft gilt doch vielmehr: Der Weg ist das Ziel. Daran sollte man sich auch beim Puzzeln halten.
Bild: IXXI concepts B.V.
Garderobe mit Haken
Für alle, die auch im Homeoffice nicht auf den Gang zur Textilreinigung verzichten wollen (okay: eher für Büroarbeiter mit Körperkontakt), hat das italienische Designbüro Carlo Ratti Associati einen mobilen, batteriebetriebenen und App-gesteuerten Garderobenreiniger vorgestellt. „Pura-Case“ soll mittels Ozonbehandlung nicht nur die meisten Mikroorganismen, Bakterien und Viren aus der Kleidung entfernen, sondern auch unerwünschte Gerüche. Sobald der einstündige Reinigungszyklus abgeschlossen ist, wird das Ozon durch einen natürlichen Zerfallsprozess zu Sauerstoff reduziert. Die Gesundheits- und Textilindustrie verwendet Ozon häufig zur Desinfektion von Gegenständen und Räumen. Die Textilreinigung für daheim wurde von Scribit in Auftrag gegeben, einem Tech-Start-up, dessen Beritt eigentlich Handschriftroboter sind und das nun einen Teil seiner Produktionslinie umgebaut hat, um auf die Pandemie zu reagieren. Obwohl das Projekt auf Kickstarter erfolgreich finanziert wurde, brachen die Macher die Kampagne im Juli ab. Man glaube nach wie vor an den Erfolg, strebe aber nach höherem, sprich: größeren Investitionen für einen „noch besseren“ Prototyp.
Bild: Pura Case
Völlig von der Rolle
Wer braucht schon einen Rauch oder Richter, wenn er sich Klorollen an die Wand hängen kann? Die Frage, was zum Statussymbol taugt, hat sich in diesem Jahr ohnehin geändert. Der Porsche ist dem Fahrrad gewichen, die Innenstadtwohnung der Kleingartenhütte. Da kommt also das Klorollenregal aus Dänemark von Design by DOG gerade recht. Es besteht aus drei halbrunden und nach oben offenen Metallböden. Schraubt man sie im richtigen Abstand an die Wand, kann die Klorollenstapelei die Wand empor losgehen, weil sich die Rollen gegenseitig stützen. Das taugt im Übrigen auch zum Zeitvertreib über die Weihnachtsfeiertage. Wie Bauklötze – Corona-Edition. Oder umgekehrt: eine Art Rollen-Jenga. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, dem Geldbeutel schon. Die designverliebten Dänen wollen für ihr Rollenmural 249 Euro haben.
Bild: Design by DOG