Wie die Sowjetunion beinahe das Internet erfunden hätte
Am ersten Oktober 1970 entschied das Politbüro über die Zukunft des sowjetischen digitalen Kommunikationsnetzes. Die Bedingungen für das entscheidende Treffen in Stalins ehemaligem Büro im Kreml waren günstig. Wiktor Gluschkows Vorschlag für ein Staatliches automatisiertes System zur Datenerhebung und -verarbeitung – kurz: OGAS – hatte eine realistische Chance, zum Bestandteil des kommenden achten Fünfjahresplans zu werden. Die zwei wichtigsten Personen fehlten jedoch zu Gluschkows Überraschung. Generalsekretär Leonid Breschnew weilte in Baku, um den fünfzigsten Jahrestag der Sowjetherrschaft über Aserbaidschan zu feiern. Ministerpräsident Alexei Kossygin war nach Kairo gereist, um der Trauerfeier nach Nassers Tod beizuwohnen.
Sowohl der Technokrat Breschnew als auch der wirtschaftspolitisch progressive Kossygin waren potentielle Befürworter von Gluschkows ambitioniertem Vernetzungsprojekt. Sein Konzept sah vor, mit dem OGAS die ökonomische Planung, Produktion und Statistik der gesamten Sowjetunion zu digitalisieren. Dabei handelte es sich um ein halb dezentrales, halb zentralistisches Projekt. Als Basis waren Daten aus mehreren zehntausend computerisierten Fabriken vorgesehen. Diese wären in dreißig bis fünfzig größeren städtischen Rechenzentren zusammengeführt worden, die wiederum einem Moskauer Rechenzentrum zugearbeitet hätten. Das OGAS war als nationale Gesamtfabrik angelegt, die die Gestalt einer Datenbank annimmt – ein Nervensystem der Planwirtschaft.
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