Wie man möglichst sanft enttäuscht

Die moderne Gesellschaft wird oft dadurch charakterisiert, dass sie ihre Mitglieder zu mehr Erwartungen ermuntert, als sie erfüllen kann. Ein Grund dafür ist, dass sie nur noch mobile Hierarchien kennt. Die Nachfolger für die Inhaber ihrer Spitzenpositionen werden nicht geboren, sondern unter mehreren Bewerbern ausgewählt. Auf alle Nichtausgewählten kommt dann eine Enttäuschung zu. Darin, und ähnlich auch in den Entlassungen, stecken Probleme nicht nur für den Betroffenen. Denn wer sich in Erwartungen enttäuscht sieht, mit denen er sich öffentlich identifiziert hat, der wird rasch unberechenbar: Er verteidigt nicht nur seine Erwartung, er verteidigt sich selbst. Es drohen Wutausbrüche gegen den Überbringer der schlechten Botschaft oder Klagen und Anlagen vor unbeteiligten Dritten mit unvorhersehbarem Ausgang.
Nun gibt es Möglichkeiten, dem Enttäuschten die Anpassung an seine schwierige Situation zu erleichtern. Der Soziologe Erving Goffman stellte einst einige von ihnen zusammen: Die Rolle des Überbringers kann von einem Freund übernommen werden, der bei dieser Gelegenheit deutlich macht, dass er den Erfolglosen nach wie vor achtet. Oder man teilt ihm die negative Entscheidung nicht gleich mit, sondern warnt zunächst einmal nur, dass sie bevorstehen könnte, und gibt ihm so die Gelegenheit, sich auf das drohende Unheil vorzubereiten. In anderen Fällen bietet man ihm einen minderwertigen, aber honorigen Ersatz an: Der gewalttätige Polizist erhält eine Stelle im Innendienst, und dem verschmähten Liebhaber wird eine Zukunft als guter Freund offeriert. Oder man besänftigt mit der Aussicht auf eine zweite Chance, die aber oft ausgeschlagen wird, da ein Rücktritt in die zweite Reihe, nachdem man sie erfolglos zu verlassen suchte, nicht leichtfällt. Eine andere Möglichkeit wäre, einfach zunächst nur auf Probe einzustellen.
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Oliver Berli, Warming up und Cooling out in der Wissenschaft, in: Berliner Journal für Soziologie 31 (2021), S. 327-352; Erving Goffman, On Cooling the Mark out, in: Psychiatry 15/1952), S. 451-463.