Poetik und Verbrechen

Die Zeitschrift „Poetry“ – eine der ältesten Publikationen für Lyrik in den Vereinigten Staaten – ist in eine unangenehme Kontroverse verstrickt. Die Ausgabe von Februar 2021 steht unter dem Motto „The Practice of Freedom“ und versammelt Gedichte von Autoren, die Erfahrungen als Gefängnisinsassen gemacht haben. Die Herausgeberin Tara Betts schreibt in ihrem Vorwort, die Beiträger seien durch ihre Haft oft nicht mehr als Menschen wahrgenommen worden. Die Zeitschrift möchte ihnen eine Plattform geben, um ihre Kreativität und Humanität zeigen zu können. Betts äußert die Hoffnung, dass die Leser sich dieser Ausgabe unvoreingenommen nähern werden.
Die ersten Reaktionen waren allerdings Ablehnung und Abscheu. Bei der Auswahl waren die Straftaten der Einsender nicht beachtet worden. Auf Twitter wies der Account @HeyLimLim darauf hin, dass die Ausgabe auch ein Gedicht des ehemaligen Professors Kirk Nesset enthielt, der wegen des Besitzes von Kinderpornographie verurteilt wurde. Dieser Hinweis fand schnelle Verbreitung. Das Ausmaß von Nessets Verbrechen ist riesig. Mehr als eine halbe Million kinderpornographischer Bilder wurden in seinem Besitz gefunden. Zudem meldeten sich auch immer mehr Menschen zu Wort, die über Erfahrungen mit Übergriffen durch Nesset berichteten.
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