Aus dem schmuddeligen Elternhaus des Dotcom-Kapitalismus
Sechsundzwanzig Bände blicken von ihrem Regal herab. Ihre ledernen Rücken glänzen edel, der goldene Aufdruck strahlt wie neu. Dabei erschien der 24. Band der neunzehnten Auflage der Brockhaus Enzyklopädie bereits 1994, das Personenregister und ein Ergänzungsband in den beiden Jahren danach. Erst in diesem Ergänzungsband findet sich das Stichwort „Internet“. Und dieses Internet hat unseren Großen Brockhaus, den bei weitem teuersten Ausstattungsgegenstand der Wohnung, schon vor langer Zeit zum Dekoartikel degradiert. Seit 2002, als das Regal zuletzt umgeräumt wurde, ist niemandem im Haushalt aufgefallen, dass die Bände völlig durcheinander stehen. So lange also wurde hier nichts mehr gründlich nachgeschlagen. Das kommt hin, denn seit 2001 gibt es Wikipedia. Am 15. Januar jenes Jahres ging die englischsprachige Ausgabe online, die deutsche folgte am 16. März.
Es ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Eine Website mit Texten, an denen jeder mitarbeiten darf, der eine Tastatur bedienen kann, hat innerhalb weniger Jahre Werke verdrängt, die ihren Ruf als das Zuverlässigste, das je zwischen Buchdeckel gebunden wurde, in Jahrhunderten aufgebaut hatten. Die Brockhaus Enzyklopädie startete 1808, Meyers Lexikon 1840, der erste Band der Encyclopædia Britannica erschien 1768. Zwar hat der Niedergang der klassischen Lexika nicht nur mit der Digitalisierung zu tun – der Meyer ging bereits 1986 im Brockhaus auf. Aber lange überlebten auch die Platzhirsche den Trend nicht. Der 30. Band der 21. und letzten Auflage des gedruckten Brockhaus mit 24.500 Seiten und 300.000 Stichworten erschien 2006, der letzte der 32.000 Seiten umfassenden Papierausgabe der Encyclopædia Britannica 2010.
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